Wollust - Roman
immer noch nicht geschafft, Garth Hammerling aufzuspüren. Nach allem, was wir gehört haben, war er nicht besonders treu. Könnte er nebenbei ein Ding mit Crystal am Laufen gehabt haben?«
»Ja, absolut, diesem Mistkerl traue ich eine Menge zu.«
»Was ist mit Aaron Otis? Er hatte eine kurze Affäre mit Adrianna.«
»Ich kenne ihn nicht besonders gut …« Sie wurde plötzlich ganz blass. »Ich glaube, mir wird noch mal schlecht.«
Sie riss die Tür auf und erbrach sich würgend und keuchend auf den Bordstein. Im Hintergrund hörte Marge heulende Sirenen näher kommen.
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.« Marge verließ die Rückbank und ging auf zwei Streifenwagen zu. Sie wies die vier Uniformierten an, die Straße abzusperren und das Wohngebäude zu sichern. Es versammelte sich bereits eine Menschenmenge, und Marge brauchte die Unterstützung der vier. Oliver war bereits oben und sperrte die Wohnung ab.
Sela hatte aufgehört, sich zu übergeben, und saß jetzt mit dem Kopf zwischen den Knien auf der Rückbank. Langsam hob sie den Kopf und wischte sich über ihre Augen und das Gesicht. »Du meine Güte, ich sehe schrecklich aus!« Sie geiferte und tupfte sich mit einem Taschentuch die Mundwinkel
ab. »Ist schon komisch.« Eine Pause. »Nicht ach-wie-witzig-komisch, sondern ironisch-komisch. Das ganze letzte Jahrüber habe ich versucht, Abstand zu den beiden zu gewinnen. Und jetzt sind sie weg … und ich fühle mich so schrecklich! Als hätte ich das alles durch meinen Wunsch verursacht!«
»Sie haben gar nichts verursacht, das wissen Sie.« Marge hatte sich wieder auf die Rückbank gesetzt. »Sie sind genauso ein Opfer wie die beiden.«
»Außer, dass ich noch hier sitze.«
Die Schuld der Überlebenden. »Danken Sie Gott dafür. Ich rufe jetzt Ihre Eltern an, wenn Sie möchten.«
»Ich mache das selbst. Das schaffe ich schon.« Sela richtete ihre Worte ebenso sehr an sich selbst wie an Marge. Sie tippte die Nummer ein, aber kaum war ihre Mutter am Telefon, brach sie in Schluchzen aus. Und ihre Mutter kreischte ins Telefon, so laut, dass selbst Marge sie hören konnte.
»Mir geht es gut, mir geht es gut, mir geht es gut«, brachte Sela schluchzend hervor.
Marge nahm ihr das Handy ab und stellte sich vor.
Wieder einmal ein herzzerreißendes Gespräch am Telefon.
Wieder einmal eine lange Nacht.
30
Zwei Ermittler von der Gerichtsmedizin in schwarzen Jacken hatten den Körper vorsichtig aus dem Kühlschrank befreit und auf einer Decke abgelegt. Die ältere der beiden – eine Frau Mitte vierzig namens Gloria mit hispanischen Vorfahren – wandte sich an Decker. »Der Körper braucht Zeit, um sich zu erwärmen, bevor wir ihn entfalten. Kaltes rohes Fleisch ist nicht so leicht zu bearbeiten wie Fleisch mit Zimmertemperatur. Wir wollen schließlich nichts abreißen.«
»Verstanden.« Decker ging in die Hocke, um den Körper genauer anzusehen. Aus den Begrenzungen der Kühlbox befreit, hatte er sich bereits ein bisschen entfaltet. Crystal befand sich nun in der Fötusstellung. Ihre lackierten Fingernägel schienen intakt zu sein, obwohl die Farbe abblätterte. Der Gerichtsmediziner würde sie kürzen, um herauszufinden, ob sich fremdes oder biologisches Material an ihnen befand. Sie hatte schon eine ganze Weile im Kühlschrank gelegen, denn es zeigten sich erste Leichenflecken, da das Blut bereits in die untere Hälfte der Waden, Oberschenkel und des Oberkörpers abgesunken war. Mit bloßem Auge konnte Decker weder Einschusslöcher noch Stichwunden erkennen. Ihre Hautfarbe schwebte zwischen mehreren Abstufungen eines blaustichig verfärbten Graus, ihre Lippen waren tief dunkelblau angelaufen. Er betrachtete ihren Nacken. An der einsehbaren Stelle schienen sich einige violette Punkte zu befinden – Petechien.
Normalerweise deutete das auf Erwürgen hin. Er stand auf und nahm das Innere des Kühlschranks unter die Lupe. Hier war schon länger nicht mehr geschrubbt worden. Winzige Partikel verrotteter Lebensmittel klebten an den Wänden und im Gemüsefach, dazu noch Spritzer und Kleckse auf dem Boden und an den Seiten.
Er nahm ein Set zum Nachweis von Blutspuren und fuhr mit Q-Tips über einige der Verunreinigungen. Die meisten verfärbten sich blau und zeigten somit das wahrscheinliche Vorhandensein von Blut an. Keine große Überraschung. Rohes Fleisch, das im Kühlschrank aufgetaut wurde, lag oft im eigenen Blut. Wenn man mit dem Teller sorglos umging – und Crystal war nicht gerade der
Weitere Kostenlose Bücher