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Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)

Titel: Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz W. Werner
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Selbstständigkeit wirklich zu leben.
    Rückblickend betrachtet dauerte es sicher fünf Jahre, bis das neue Denken glaubhaft erlebbar war. Und ich kenne keinen dm-Mitarbeiter, der diesen Veränderungsschritt jemals bereut hätte. Im Gegenteil: Es besteht große Einigkeit, dass wir damals den Grundstein für den Erfolg der nächsten zwei Jahrzehnte gelegt haben.

Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.
George Bernard Shaw
    K APITEL 11  Radikale Kundenorientierung
oder warum Menschen Sonderangebote doof finden und manches besser auf 5 als auf 9 endet
    Am Morgen des zweiten Tages eines Kongresses sitze ich noch etwas verschlafen im Bus und schaue aus dem Fenster auf die bunt glitzernde Stadt. Da setzen sich zwei junge Männer in die Sitzreihe hinter mir. Offenbar kommen sie auch aus der Handelsbranche und fahren zum selben Kongress. Sie unterhalten sich so laut, dass ich gar nicht anders kann, als das Gespräch mitzuhören. Sie sprechen über Marktforschung.
    »Man hat jetzt herausgefunden, dass Sonderangebote bei den Kunden gar nicht so beliebt sind«, erzählt der eine. »Die meisten wünschen sich Dauerpreise.«
    »Das leuchtet mir auf Anhieb ein«, sagt der andere. »Ich hasse Sonderangebote. Immer, wenn ich was brauche, ist es gerade nicht im Angebot. Also kaufe ich meine Sachen mit dem Gefühl, zu viel Geld bezahlt zu haben. Und wenn etwas im Angebot ist, brauche ich es meist eigentlich nicht. Aber dann kaufe ich es trotzdem, weil es so billig ist, und ärgere mich hinterher, dass ich schon wieder Geld für etwas ausgegeben habe, das ich gar nicht brauche.«
    »Das sagt meine Frau auch immer«, bestätigt der erste seufzend. »Wenn es nach mir ginge, würde ich Sonderangebote abschaffen. Aber unser Management versteht das nicht. Das bekomme ich nicht durch.«
    Diese kleine Situation im Herbst 1992 während irgendeines Kongresses in Berlin wurde zum Auslöser für die nächste Revolution bei dm. Schon die Abschaffung des Vertriebs drei Jahre zuvor hatte als Sakrileg im Handelswesen gegolten. Aber die Idee, mit der ich wenige Tage nach der Busfahrt meine Geschäftsführungskollegen in Karlsruhe begrüßte, stieß auf ungläubige Blicke: »Keine Sonderangebote mehr! Wir führen jetzt Dauerpreise ein!« Ich hätte genauso vorschlagen können, wir sollten eine Filiale auf dem Mond eröffnen – vielleicht wäre das Entsetzen sogar kleiner gewesen. Ich erlebte dasselbe wie der Mann aus dem Bus, dessen Management die Idee nicht verstehen wollte. »Herr Werner, sind Sie wahnsinnig geworden?«, war die erste und einzige Reaktion.
    Man muss dazu wissen, dass es im Handel so gut wie keine Möglichkeiten gibt, sich vom Wettbewerber zu unterscheiden. Denn die Produkte sind fast überall dieselben. Ob sich der Kunde im Geschäft für dieses oder jenes Shampoo entscheidet, dafür kann die Industrie durch Produktwerbung wesentliche Impulse geben. Aber ob der Kunde diese Entscheidung in diesem oder jenem Laden fällt, das hängt allein am Preis. Deswegen hatten wir von Anfang an bei dm auf günstige Preise gesetzt – das war ja das wesentliche Merkmal des Discounterprinzips. Anfangs waren wir auf Dauer billig, schon allein, weil das einfach wenig Arbeit macht. Aber mit der Zeit passieren Dinge, die einen von diesem Weg abbringen. Da hat man versehentlich zu viel Ware geordert, die man loswerden muss. Schon macht man eine Aktion mit Sonderangebot. Ganz unbewusst gerät man dann in einen Sonderangebotsstrudel. Man macht einmal im Monat ein Sonderangebot, dann alle 14 Tage. Man beginnt das zu kultivieren. Man will mehr Umsatz machen, also macht man alle acht Tage Sonderangebote. Immer gibt es irgendwelche Restposten; immer kommt überraschend ganz viel Ware in die Filiale. Da hat ein Spediteur etwas zu spät oder an die falsche Adresse geliefert; man hat sich verschätzt und eine zu große Menge bestellt. So entstehen Rushhour-Notsituationen, und das Sonderangebot ist ein wunderbares Hilfskonstrukt, um aus der Not eine Geldquelle zu machen. Und so geht es allen Händlern.
    Deswegen gehört die Kunst, Sonderangebote zu entwickeln, im Einzelhandel zu den höchst gepriesenen Fertigkeiten. Und jetzt wollte ich ausgerechnet dieses Kernelement des Handels abschaffen?
    Sonderangebote sind vom Händler,
nicht vom Kunden aus gedacht
    Die Kollegen in der Geschäftsführung starrten mich entsetzt an: »Das genau war doch immer der Erfolg von dm, eine kluge Sonderpreispolitik!

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