Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Das können wir doch nicht abschaffen?!« Ich stand da als einsamer Rufer in der Wüste. Keiner konnte sich vorstellen, wie unser Geschäft ohne Sonderangebote jemals funktionieren sollte. Für mich war das alles dermaßen evident, dass ich gar nicht mehr zurückkonnte.
Ich wusste mit aller Klarheit und in vollem Bewusstsein, dass Sonderangebotspolitik der völlig falsche Weg war. Sonderangebote sind vom Händler aus gedacht, aber nicht vom Kunden aus. Der Kunde soll doch die Ware dann kaufen, wenn er sie braucht, und nicht, wenn sie bei uns billig ist. Das war die Grundidee. Und wenn man die erst einmal hat, kann man nicht weitermachen wie bisher. Das fällt Menschen, die nicht im Handel arbeiten, naturgemäß leichter, weil sie als Kunden sofort erkennen, dass Sonderangebote nicht für sie gemacht werden. Für die meisten Menschen ist Einkaufen lästig. Ihnen fällt immer erst dann ein, dass sie Waschmittel brauchen, wenn das alte Paket leer ist. Aber dann gibt es kein Sonderangebot. Und wenn der Kunde eine Woche später in den Laden kommt, entdeckt er das Sonderangebot und denkt: »Mensch, hätte ich es doch eine Woche später gekauft, jetzt ist es nämlich zwei Euro billiger!«
»Nein«, heißt es dann immer, »eine Bekannte von mir, die sucht alle Anzeigen nach den günstigsten Angeboten durch und kauft dann ganz gezielt ein.« Diese Bekannte habe ich auch. Das ist eine Schnäppchenjägerin, wie sie im Buche steht. Aber wie viele Schnäppchenjäger gibt es? Und wie viele Kunden gibt es, die gern in einen Laden gehen, von dem sie wissen: »Hier ist es immer günstig, egal wann ich komme. Ich muss mich nicht vergewissern, ob gerade Waschmittel, Haarshampoo oder Sonnenschutz im Angebot ist.« Und dann muss man sich entscheiden, ob man sein Geschäft auf die Sonderangebotsjäger oder auf die preisbewussten Stammkunden konzentrieren will.
Was mir so glasklar schien, war für meine Kollegen weltfremd und absurd. Ich spürte, mit Argumenten würde ich hier nicht weit kommen. Ich musste den Beweis antreten. Das aber war in dieser Situation nicht so einfach. Denn um den Kunden zu verdeutlichen, dass man bei dm dauerhaft günstig einkauft und dass es deswegen keine Sonderangebote mehr gibt, konnte man nicht einfach mal ein bisschen ausprobieren. Das musste man tun und zwar mit allen Konsequenzen. In dieser Situation war es nun von großem Vorteil, dass ich als Eigentümerunternehmer die Entscheidung auch gegen internen Widerstand fällen konnte.
Im Grunde genommen ging es darum, nach bewährter Methode die Betroffenen zu Beteiligten machen. Nur waren die Betroffen in diesem Falle nicht die Mitarbeiter in der Zentrale oder in den Filialen, sondern die Kunden selbst. Um die zu beteiligen, gab es zwei Möglichkeiten: Man konnte sie theoretisch befragen; und man konnte sie in der Praxis entscheiden lassen. Die Theorie hatte die Marktforschung erledigt und herausgefunden, dass Sonderangebote – theoretisch – überwiegend unbeliebt sind. Aber dieses Ergebnis musste man auch glauben. Es gab Kollegen, die schüttelten angesichts der Forschungsergebnisse nur den Kopf: »Mag sein, dass die Leute behaupten , sie würden keine Sonderangebote mögen . Aber sie kaufen sie!« Also blieb nur der Praxistest.
Deswegen stellte ich nicht mehr zur Diskussion, ob wir Dauerpreise einführen würden, sondern nur noch wann und wie. Mir toste ein Sturm der Entrüstung entgegen. Es wurden die schrecklichsten Szenarien entwickelt, was wir verlieren würden, wenn wir alle Preise grundsätzlich reduzierten. Aber ich blieb stur: »Nein, nein, wir gewinnen Marge dadurch.« Das Evidenzerlebnis war zu stark. Das haben die meisten zunächst nicht verstanden.
Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet Gründe
Im gleichen Zug kippten wir ein weiteres ehernes Gesetz des Handels. Der Zufall wollte es, dass zu jener Zeit die Banken Schwierigkeiten hatten, genügend Kupfergeld zu besorgen. Im Einzelhandel sind Ein- und Zwei-Cent-Stücke aber fast wichtiger als Ein- und Zwei-Euro-Münzen. Denn üblicherweise enden alle Preise auf –,99, so dass man an der Kasse sehr selten glatte Beträge zahlen muss. Damals habe ich spontan gesagt: »Wunderbar! Wenn die Banken kein Kupfergeld mehr haben, dann machen wir eben unsere Preise so, dass wir kein Kupfergeld herausgeben müssen: Fünferpreise.«
Wie das in solchen Situation und mit spontanen Eingebungen so ist, fielen mir und den Kollegen lauter Argumente ein, warum das gut ist. Schließlich befanden wir
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