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Wood, Barbara

Wood, Barbara

Titel: Wood, Barbara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieses goldene Land
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schwitzte, entledigte er sich seines
Lendenschurzes, ließ ihn zusammen mit der Decke zurück, ehe er seine
Erforschung am Fuße des Berges fortsetzte. Schweiß rann ihm in die Augen. Als
er sich über die Stirn fuhr, war seine Hand anschließend tropfnass. Jallaras
Volk pflegte die heißesten Stunden des Tages zu verschlafen. Warum tat er es
ihnen nicht gleich?
    Sein Speer
entglitt ihm, fiel zu Boden. Neal ging weiter, jetzt mit der Sonne im Rücken.
Demnach ging er im Kreis und würde irgendwann wieder an seinem Ausgangspunkt
landen. Warum machte er das? Was hoffte er zu finden?
    Die
Antwort erübrigte sich, als er die stachelige Eidechse vor sich erblickte.
    Es sah
aus, als würde der Thulan kurz
verharren und zu ihm aufschauen, ehe er weiterlief. Neal folgte ihm, bis das
Tier unvermittelt in den Fels zu verschwinden schien. Eine nähere Betrachtung
ergab, dass sich hier ein kleiner Zwischenraum befand. Äonen von Jahren zuvor
hatte sich vom Zentralmassiv ein Stück Fels abgespaltet und einen schmalen
Durchlass geschaffen.
    Jetzt
schlüpfte Neal hindurch. Was er gleich darauf erblickte, raubte ihm den Atem.
Die schrägstehende Sonne schien auf eine Felswand, die sich glatt und
majestätisch aus der Wüste erhob, um oben in einem bogenförmigen Überhang
auszulaufen. Es war wie eine auf ewig versteinerte, sich aufbäumende Welle, ehe
sie sich bricht. Der Wissenschaftler in ihm versuchte, das Gestein und sein
unglaubliches Alter zu bestimmen und nachzuvollziehen, wie es durch die
Erdkruste emporgeschleudert worden war. Aber alles, was ihm durch den Kopf
ging, war, wie schön diese steinerne rote Welle mit ihren leuchtend
orangefarbenen und gelben Zwischenschichten war. Schier unwirklich sah das
aus. Und dann fiel sein Blick auf sie.
    Menschen.
Männer und Frauen. Kinder und Tiere. Symbole, die Wolken und Sonne und Mond
darstellten. Eine endlose Abfolge, auf unterschiedliche Weise gemalt, mit
unterschiedlichen Farben. In Rot, Weiß, Gelb und Schwarz. Sie zogen über die
Gesteinsfläche, langgliedrig, die Köpfe umgeben von einem Strahlenkranz,
Speere in den Händen. Kängurus in vollem Lauf. Babys an der Mutterbrust. Ein
weißhaariger Alter, der auf einen Grabhügel gebettet wird. Eine erstaunliche
Chronik. Wie Neal wusste, gab es in Jallaras Sprache kein Wort für gestern,
heute oder morgen. Man sprach nicht von einer Zukunft, aber die Vorstellung
einer Vergangenheit, von etwas Zurückliegendem war ihnen vertraut. Eine
Zeiteinteilung schienen sie nicht zu brauchen, da sie konstant im Jetzt lebten.
Wie erklärte das diese Chronik? Er beantwortete sich die Frage selbst: Jede
Generation kam zu dieser Felswand und hielt ihr Jetzt fest, woraus sich eine
Abfolge von »Jetzts« ergab.
    All diese
Gestalten, die da gingen, rannten oder eine liegende Position einnahmen, die
Kängurus töteten oder Spinifex-Gras sammelten, stellten jeweils eine Generation
einer einzigen Familie von Jallaras Clan dar. Neal konnte sich gut vorstellen,
wie Thumimburee in epischer Breite von den Vorfahren erzählte und die Familie
dann deren Abbild vor Augen hatte. Dies hier waren die unvergänglichen
Aufzeichnungen von Menschen, von denen Neal angenommen hatte, sie müssten mit
Alphabet und Schreibgerät vertraut gemacht werden.
    Beim
Abschreiten der Wandmalereien sah er Väter und Söhne in allen
Lebensabschnitten. Er berührte die Abbildung eines Mannes, der einen Sohn an
der Hand führt, beide mit Bumerangs ausgestattet. Ein Vater, der seinen Sohn in
der Kunst des Jagens unterweist. Tränen stachen Neal in den Augen.
    Die
Erinnerung an andere Tränen drängte sich ihm unvermittelt auf. Eine Erinnerung
aus seiner Kindheit, die er längst vergessen glaubte. Der neunjährige Neal war
eines Tages vorzeitig aus der Schule nach Hause gekommen und hatte Josiah Scott
weinend in seinem Arbeitszimmer angetroffen. Offenbar hatte er diese Erinnerung
verdrängt, weil sie ihm zu peinlich war - man bedenke, ein kleiner Junge erlebt
den Mann, den er verehrt, als Heulsuse! -, aber jetzt stand ihm diese Szene
wieder in aller Deutlichkeit vor Augen: Josiah Scott an seinem Schreibtisch,
Neals Babykleider, die Decke und das smaragdgrüne Tränenfläschchen an sich gedrückt
und hemmungslos schluchzend.
    Achtzehn
Jahre lang hatte Neal diese Szene begraben und vergessen. Er war wohl damals
weggerannt, genau wusste er das nicht zu sagen. Seinen Vater in dieser
Verfassung zu erleben, hatte ihm Angst eingejagt. Josiah Scott war für den
Jungen bislang ein Fels in der

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