Wood, Barbara
kletterte. Sie
meinte schon, der Blitz habe Mike getroffen, aber dann sah sie ihn Nan folgen.
Auf halbem
Weg nach unten merkte sie, dass Jamie nicht nachkam. »Mr. O'Brien!«, rief sie. »Jamie!«
Ganz kurz
tauchte er oben am Einstieg auf. »Ich muss den anderen
helfen.« Damit verschwand er.
Am Boden
des Schachts angelangt, schaute Hannah, auf Jamie wartend, zum Rand hinauf.
Blitze verzweigten sich und drangen in den Boden, ließen die Nacht heller
werden als den Tag. Dazwischen waren Schacht und Stollen in tiefste, nie
erlebte Dunkelheit gehüllt. Sie hörte Männer rufen. Sie roch Rauch und
Schwefel.
Und dann
tauchte er endlich auf, hangelte sich nach unten, während weiterhin über ihm
Blitze zuckten und sich Donner entlud.
»Alle
unten in den Schächten«, vermeldete er beim Näherkommen atemlos.
Donner
grollte, die Erde erbebte. Hannah dachte an Ralph Gilchrists Stolleneinbruch.
»Hier sind
wir sicher«, sagte Jamie, als er unten landete. Ein Blitz trug dazu bei, die
Fackel an der Wand zu löschen, mit der alle Stollen versehen waren. Er zündete
ein Streichholz an, hielt es an die teerummantelte Spitze. Im Schein der Flamme
sah Hannah einen engen Gang mit groben Gesteinswänden. Auf dem Boden lagen
Stemmeisen und kleine Pickel. Dass auch eine Wolldecke vorhanden war, verriet
ihnen, dass sie sich in der Mine von Tabby befanden,
der zwischen seiner Arbeit auch gern mal ein Schläfchen einlegte.
Der
Stollen war eng und nur wenige Zoll höher als ihre Köpfe. Seine Länge betrug
nach Hannahs Schätzung etwa zwölf Fuß. Man
hätte sich wie in einem Grab vorkommen können, wäre da nicht der kühle Luftzug
gewesen, der die Flamme der Fackel flackern ließ, während sich über ihnen das
Unwetter mit Macht austobte.
»Machen
wir es uns doch gemütlich«, meinte Jamie und griff nach Hannahs Hand, um ihr zu helfen, sich auf dem mit Geröll bedeckten Boden
niederzulassen.
»Was ist,
wenn Regen durch den Schacht eindringt?«, fragte Hannah, als er sich neben sie
setzte und wie sie den Rücken an die Wand lehnte.
»Ich pass schon drauf auf. Erst einmal sind's die Blitze, die uns gefährlich
werden können.«
Hannah
beobachtete die tanzenden Schatten an der Wand ihr gegenüber. Sie hatte gerade
genug Platz, um die Beine auszustrecken. Jamies Nähe ließ ihr Herz klopfen.
Sie musste
reden. »Mr. O'Brien, wieso haben Sie, als ich aus dem Zelt von Church kam, Tabby aufgefordert, sich bei mir zu entschuldigen, weil er von einem Hund
gesprochen hatte, der auf einer Proviantkiste saß?«
Jamie
lachte leise, während über ihnen Blitze niedergingen und mit feurigen Zinken
den Boden der Wüste versengten. Er schaute Hannah
an, die so dicht neben ihm saß, dass ihre Arme aneinandergedrückt
wurden. Im Schein der Fackel sah er die Feinheiten ihres Gesichts, die
geschwungenen Brauen, den dichten Wimpernkranz, die taubengrauen Augen. In den
vergangenen Monaten hatte sie Farbe bekommen, war nicht mehr blass, sondern
wies eine gesunde Bräune auf. Unermessliches Verlangen überkam ihn. »Du kennst
die Geschichte nicht?«
Sie
schüttelte den Kopf. Ihre Nähe bereitete ihm mit einem Mal Schwierigkeiten beim
Atmen.
»Ist eine
alte Geschichte.« Jamie saß mit angewinkelten Knien da, die Handgelenke lässig
darauf gestützt, eine entspannte Haltung, die den Aufruhr seiner Gefühle nicht
erkennen ließ. »Sie reicht zurück in die frühen Tage der Erschließung von New
South Wales. Schwere und gefahrvolle Zeiten waren das; Ausrüstung und Proviant
mussten in unwirtlichem Gelände mit Ochsenkarren einer mehr schlecht als recht
gespurten Fährte folgen. Manchmal blieben die Wagen stecken, und dann musste
der Ochsentreiber erst mal Hilfe holen. In der Geschichte geht's um den Hund
des Ochsentreibers, der auf die Proviantkiste seines Herrn, also auf die
Verpflegung aufpasste, während sein Herr auf der Suche nach Hilfe war.«
Jamie
wandte sich Hannah zu, schaute ihr in die Augen. »Es war Sommer, und wir
blieben neun Meilen südlich von Gundagai stecken. War mühsam, Hilfe
aufzutreiben. Als ich endlich zurückkam, bewachte der gute alte Prinz noch
immer meine Proviantkiste. Aber er war verhungert, weil er sich nicht von dem
Schatz wegbewegt hatte, den er bewachen sollte. Beim Bewachen einer
Proviantkiste war er verhungert! Ich hab den alten Prinz in der Kiste begraben,
auf der er so lange gesessen hatte.«
»Was für
eine traurige Geschichte«, meinte Hannah.
»Deshalb
musste sich Tabby drüber
lustig machen. Männer heulen
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