Wood, Barbara
hatte,
dass sie ihn enttäuscht hatte. Außerdem war ihm zu Ohren gekommen, dass Miss
Conroy und der Amerikaner sich einander versprochen hatten und heiraten
wollten.
Er ließ
Blanche, die nicht bemerkte, dass sie von dem Mann, den sie liebte, beobachtet
wurde, nicht aus den Augen. Wie unermüdlich sie sich in den vergangenen
vierundzwanzig Stunden eingesetzt, ihre Freundinnen und Besucherinnen zu einem
effizienten Team von Krankenbetreuerinnen zusammengeschweißt hatte! Sie hatte
sich sogar danach erkundigt, wer von den Besuchern des Lesens und Schreibens
kundig sei, und den Frauen, die diese Frage bejaht hatten, die Aufgabe
übertragen, alles zu notieren, was am Bett der Patientinnen geschah - wann sie
gefüttert, wann ihre Bettpfannen gelehrt, wann ihre Verbände gewechselt oder
sie gedreht wurden -, so dass keiner Hunger leiden musste oder vernachlässigt
wurde.
Blanche
Sinclair war eine Frau mit erstaunlichem Weitblick. Würde sie auch seinen
Plänen für Veränderungen und Verbesserungen im Hospital aufgeschlossen
gegenüberstehen?, fragte sich Marcus, vielleicht sogar zusätzlich mit eigenen
Vorschlägen aufwarten?
Der arme
Dr. Soames fiel ihm ein. Er musste sich um ihn kümmern.
Blanche
schaute auf, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Marcus Iverson die
Station verließ, noch immer mit aufrechtem Gang und durchgedrückten Schultern,
obwohl er zweifelsohne todmüde sein musste und kaum etwas zu sich genommen
hatte. Liebe und Bewunderung durchfluteten sie und freudige Erregung bei dem
Gedanken, was sich möglicherweise abzeichnete.
Obwohl sie
in den zurückliegenden vierundzwanzig Stunden nur hin und wieder etwas
geschlafen und lediglich ein paar Kekse geknabbert und mit Tee hinuntergespült
hatte, fühlte sie sich quicklebendig. Sogar mehr als quicklebendig: erfüllt von
einer Bestimmung. Zum ersten
Mal empfand sie ihr Wirken in diesem Hospital als genau das, was ihrem
Innersten entsprach. Und dass es hier eigentlich nichts gab, wovor man Angst
haben musste. Vielleicht war es ja damals gar nicht das Krankenhaus als solches
gewesen, was sie so erschreckt hatte, sondern vielmehr das Unbekannte. Als
Kind hatte sie ein Krankenhaus als beängstigendes Chaos erlebt, als einen Ort,
in dem es drunter und drüber ging, jetzt aber, da sie sich Überblick über alles
verschafft hatte, war ihre Angst wie weggeblasen.
Während
sie ihren Damen Anweisungen gab - »Die Stühle dort müssen weg, sonst bleiben
Besucher zu lange sitzen und sind unwillig, für andere den Platz zu räumen« -,
nahm sie sich vor, sobald sie Zeit dafür fand, über ihre hier geleistete Arbeit
und über das, was sie gesehen und gelernt hatte, nachzudenken und sich dann
hinzusetzen und Anregungen zu Papier zu bringen.
Sie wollte
Vorschläge für Verbesserungen ausarbeiten, die ihr aufgefallen waren, als sie
und Alice und Margaret und Martha Patienten gebadet, ihre Wunden verbunden, sie
mit Haferbrei gefüttert und ihre Bettwäsche gewechselt hatten - übrigens um
einiges zügiger, als wenn diese Verrichtungen Verwandten und Freunden
überlassen worden wären.
Ein ganz
neuer Aufgabenbereich. Allein der Gedanke daran ließ Blanche schier übermütig
werden. Geschultes Pflegepersonal. Nicht die Putzfrauen, die weder lesen noch
schreiben konnten und zu kaum mehr angehalten wurden, als die Lampen mit Öl
aufzufüllen. Auch nicht so übel beleumundete Krankenschwestern wie die in den
Londoner Hospitälern, die den unteren Gesellschaftsschichten entstammten und
im Rufe standen, häufig betrunken zu sein und Patienten zu bestehlen. Nein,
das Personal, das Blanche vorschwebte, sollte sich aus rundum gut ausgebildeten
und motivierten jungen Damen aus angesehenen Familien zusammensetzen.
Die
Kriterien dafür werde ich selbst bestimmen, beschloss sie. In Melbourne gibt es
viele Frauen aus gutem Hause, die gern einen Beruf ergreifen würden, vor allem,
und dafür werde ich sorgen, einen, in dem Leistungen anerkannt und gewürdigt
werden. Ich werde persönlich die Bewerberinnen unter die Lupe nehmen und mich
vergewissern, dass sie sittlich unbedenklich sind, integer und charakterlich
einwandfrei.
Wenn sie
einmal darüber gerätselt hatte, wie es wohl sein mochte, sich zu etwas berufen
zu fühlen, zu wissen, welcher Lebensweg einem vorgezeichnet war, so wurde ihr
jetzt klar, dass sie das eigentlich schon immer gewusst hatte, seit ihrer
Jugend, als sie andere Kinder betreut, ihre Spiele überwacht, dafür gesorgt
hatte, dass keiner benachteiligt
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