Wood, Barbara
hastiger drängte es aus ihm heraus.
»Vor zwei Jahren erlitt das Kind eines Nachbarn durch die Kollision mit einem
Lastwagen tödliche Verletzungen. Der Fahrer flüchtete. Die Mutter war
untröstlich, an dem Tag, da ihr Kind beerdigt wurde, versuchte sie, sich das
Leben zu nehmen. Unter den Trauernden befand sich auch ein Fotograf - Sie haben
schon mal was von Fotografie gehört, Miss Conroy?«
Sie
nickte.
»Der
Fotograf fertigte ein Porträt des im Sarg liegenden toten Kindes an, und - es
war wie ein Wunder, Miss Conroy. Für die verzweifelte Mutter war dieses Porträt
ein so großer Trost, dass sie ab sofort alle Gedanken an einen Selbstmord weit
von sich wies.«
»Donny ist
aber nicht tot!«
»Noch
nicht. Aber sollte dieser Fall eintreten, Miss Conroy, ist nicht
auszuschließen, dass Mrs. Ritchies
Kummer darüber so groß ist, dass es hier an Bord zu einer Rebellion kommt. Ein
fotografisches Porträt könnte der armen Mutter Trost spenden und dazu beitragen,
den Aufruhr zu unterdrücken. Ich würde Donny lieber ablichten, so lange er noch
am Leben ist. Nicht als Toten. Mrs. Ritchie würde den
Unterschied erkennen.«
Hannah sah
ihn verunsichert an. »Sie meinen wirklich, dass ein Porträt ...«
»Ich
verfüge über die entsprechende Ausrüstung«, fiel er ihr ins Wort, fragte sich
allerdings, wie das, was er vorhatte, auf einem Schiff, das ständig in
Bewegung war, gelingen sollte. »Nicht zuletzt über eine Kamera.«
»Wie viel
Zeit nimmt das in Anspruch? Ich muss den Jungen
doch wachhalten und ihn zum Trinken bringen.«
»Er darf
sich fünfzehn Minuten lang nicht bewegen.«
»Und wie
wollen wir das bewerkstelligen?« Sie blickte auf das bewusstlose Kind. Donnys
Kopf rollte im Einklang mit den Schaukelbewegungen des Schiffs mal zur einen,
dann zur anderen Seite. »Der Bürgermeister von Bayfield hat sich auch fotografieren lassen. Das gesamte Dorf hat dabei
zugeschaut, wie er starr und steif und den Kopf mit einem Klemmbügel fixiert
dasitzen musste, weil man ihm eingeschärft hatte, sich für die gesamte Dauer
der Sitzung mucksmäuschenstill zu verhalten.«
»Ich
weiß.« Neal rieb sich die Hände. »Aber vielleicht schaffen wir es ja irgendwie,
erst Donnys Kopf und dann meine Kamera so zu stabilisieren, dass die Bewegungen
des Schiffs mit denen des Jungen und der Kamera synchron sind. Das wäre dann in
etwa so, als würde sich nichts bewegen.«
Viel
wichtiger war jedoch, für das richtige Licht zu sorgen. »Kann man das Bullauge
in Ihrer Kabine, wenn es geöffnet ist, feststellen, Miss Conroy? Bei meinem
geht das nämlich nicht. Das blöde Ding schlägt immer wieder zu, und wir
brauchen nun mal zehn Minuten Sonnenlicht, um von dem Negativ ein Positiv zu
machen.«
»Ja«,
sagte sie, ohne zu verstehen, wovon er sprach.
»Wir
müssen uns beeilen.«
»Sagen Sie
mir, was ich tun soll«, gab sie zurück.
Es blieb
ihnen nicht viel Zeit. Die Aussiedler auf dem Hauptdeck wurden zunehmend
aufsässiger. Lautes Geschrei war zu hören und wilde Drohungen. »Ich hole meine
Ausrüstung«, sagte Neal.
Inzwischen
befeuchtete Hannah ihr Taschentuch und drückte es Donny auf die Lippen. Sie
betrachtete sein bleiches, friedlich entspanntes Gesicht. Falls er starb, so
viel stand fest, würde es auf der Caprica zu einem
blutigen Aufstand kommen.
Ausgerüstet
mit Kamera und Stativ, zwängte sich Neal wieder in die Krankenstube, ließ der
Enge wegen die Tür offen. »Seit Jahren beschäftigen sich Geologen damit,
Skizzen von Felsschichten und Gesteinsformationen anzufertigen«, führte er aus,
während er seine Gerätschaft in Stellung brachte, »ich dagegen bin der Meinung, dass die neue Technologie,
fotografische Bilder nämlich, die Wissenschaft revolutionieren wird. Geologen
sind dann in der Lage, jede Einzelheit ganz genau festzuhalten. Mögliche
Irrtümer werden dadurch ausgeschaltet. Deswegen hat mir die Kolonialregierung
ja auch diese Stellung angeboten. Ich soll vom Schiff aus fotografische
Aufnahmen von der Westküste Australiens machen.«
Während
die Caprica rollte und
knirschte, stabilisierte Neal das hölzerne Kameragehäuse mit Hilfe von Schnüren
auf dem Stativ und richtete dann die Linse auf das Kind. Hannah ihrerseits
löste ein Band aus ihrem Haarknoten, legte es Donny quer über die Stirn und
verknüpfte die Enden fest mit dem Bett, um zu verhindern, dass der Kopf des
Jungen weiterhin von einer Seite zur anderen rollte. Abschließend drapierte sie
Donnys Stirnlocke über das Band, dessen Enden sie
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