Wood, Barbara
gab mir seinen Namen.«
Neal hob
den Blick von seiner Uhr. »Für mich war es eine glückliche Fügung. Josiah Scott
ist ein freundlicher und hochanständiger Mensch. Er hat nie geheiratet. Nur er
und ich, das war's. Wir kamen gut miteinander aus.« Erneut verfolgte er, wie
die Sekunden, die Minuten auf dem Zifferblatt verrannen, sah förmlich vor sich,
wie das chemisch präparierte Papier im Inneren der Kamera zum Leben erwachte,
dachte an einen unverheirateten jungen Anwalt, dem unversehens ein Säugling
ins Haus geschneit war.
»Haben Sie
je in Erfahrung bringen können ...«, hob Hannah an, brach aber gleich wieder
ab, um nicht zu neugierig zu erscheinen.
Neals
Hemmungen, über das Thema zu sprechen, schwanden. »Ich hatte vor, nach meinen
leiblichen Eltern zu forschen. Da sie aber keinerlei Hinweise zurückgelassen
hatten, schloss ich daraus, dass sie nicht aufgespürt werden wollten. Außerdem
hatte ich keinen Schimmer, wo ich mit der Suche nach ihnen beginnen sollte.
Seither sind fünfundzwanzig Jahre vergangen.«
»Sie
wissen demnach auch nicht, ob Sie Geschwister haben?«
»Keine Ahnung.«
Er räusperte sich und schaute sie an. »Und Sie, Miss Conroy? Haben Sie
Geschwister?«
»Ich hatte
einen älteren Bruder und zwei jüngere Schwestern, aber alle drei sind an
Diphtherie gestorben. Da mittlerweile auch meine beiden Eltern tot sind, stehe
ich ganz allein da.«
In der
engen Kabine trafen sich ihre Blicke. »So wie ich«, sagte Neal leise.
Gleich
darauf besann er sich wieder darauf, den Ablauf der Zeit im Auge zu behalten.
Der
Sekundenzeiger seiner Uhr sprang von einem Strich zum nächsten, derweil die Caprica stampfend ihrem Kurs folgte. Klirrende und schmatzende
Geräusche aus der Takelage wehten durch das offene Bullauge. Schwere Schritte
waren vom darüber liegenden Deck zu hören. Noch zwei Minuten. Neal dachte an
die wütenden Aussiedler, die drauf und dran waren, es mit der Mannschaft der Caprica aufzunehmen. Hannah dagegen musterte besorgt Donnys
Gesicht, seine aufgeplatzten Lippen. War es falsch, was sie und Neal taten? Der
kleine Junge benötigte dringend Wasser.
»Eigentlich,
Miss Conroy«, sagte Neal und fand es eher merkwürdig, warum es ihn drängte,
ihr das zu erklären, »eigentlich bin ich ein ausgemachter Glückspilz.«
»Wie das,
Mr. Scott?«
»Den
meisten Menschen wird mit ihrer Geburt eine gewisse Richtung für ihr Leben
vorgegeben. Kaum haben sie das Licht der Welt erblickt, werden Erwartungen an
sie gestellt, und nur wenige können sich aus diesen Zwängen befreien. Mir
dagegen sind derlei gesellschaftliche und familiäre Anforderungen erspart
geblieben. Josiah Scott zog mich auf, um mich das werden zu lassen, was ich
werden wollte. An dem Tag, da ich den Wunsch äußerte, die Universität zu
besuchen und ein wissenschaftliches Studium aufzunehmen, lehnte er dies aus
keinem der üblichen Gründe ab - dass ich den Familienbetrieb übernehmen oder in
seine Kanzlei eintreten müsste. Und als ich ihm dann sagte, ich hätte Lust,
nach Australien zu gehen und diesen neuen Kontinent zu erforschen, brachte er
nichts von dem vor, was man jungen Männern gemeinhin sagt, um sie davon
abzuhalten, dem Ruf der großen, weiten Welt zu folgen. Stattdessen gab er mir
seinen Segen. Da! Das reicht!«, rief Neal aus, klappte seine Taschenuhr zu und
verschloss die Linse der Kamera wieder mit dem Messingdeckel. »Jetzt muss alles schnell-schnell gehen.«
Rasch
baute er die Apparatur ab, schlüpfte leise aus dem Krankenraum und verzog sich
in seine Kabine.
Hannah
löste das Band, mit dem sie Donny fixiert hatte, und brachte rasch ihre Frisur
wieder in Ordnung, dann hielt sie dem Jungen das Riechsalz unter die Nase. Er
wachte auf, nahm diesmal mehrere Schluck Wasser zu sich, schien etwas länger
bei Besinnung zu bleiben. Nachdem sich Hannah vergewissert hatte, dass Donny
es in seiner Koje bequem hatte, suchte sie ebenfalls ihre Kabine auf, um Platz
zu schaffen und ihr geöffnetes Bullauge festzuhaken, wie Mr. Scott es verlangt
hatte.
Im
Halbdunkel seiner eigenen Kabine nahm sich Neal, nachdem er Schutzkleidung
angelegt hatte, das dünne, halb transparente Papier vor, welches das Konterfei
von Donny Ritchie eingefangen
hatte, und tauchte es, um es zu fixieren, in eine Lösung aus Kaliumbromid. Dann
drückte er das Blatt in einen Glasrahmen, der mit stärkerem und
lichtempfindlichem Papier bestückt war, ehe er sich damit in Hannahs Kabine begab, wo er die gerahmten Papiere dem Sonnenlicht
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