Wood, Barbara
schlug Neal vor, an Deck zu gehen und ein bisschen frische Luft
zu schnappen.
Da Hannah
darauf bestand, bei Donny zu bleiben, ihn immer wieder zum Trinken zu animieren
und seine erhitzte Stirn zu kühlen, machte sich Neal allein auf, um sich die
Füße zu vertreten und sich ein Bild von der gegenwärtigen Situation zu
verschaffen. Als er zurückkam, bat Hannah ihn, den Jungen aus der Koje zu heben,
damit sie die Laken wechseln könne. Sie stellte fest, dass die Betttücher
diesmal weniger verunreinigt waren, was darauf zurückzuführen war, dass Donny
sich seit Stunden nicht mehr erbrochen hatte.
»Wie geht
es Mrs. Ritchie? «, fragte sie.
»Schon viel
besser. Wenn sie trinkt, kommt nichts mehr hoch. Sie schaut unentwegt das Foto
an. Ich glaube, das hilft. Und Sie, Miss Conroy, sollten sich jetzt wirklich
ein wenig ausruhen. Sie tun Donny keinen Gefallen, wenn Sie vor lauter
Müdigkeit schlappmachen.«
»Ja«, kam
es leise zurück. Ganz dicht standen sie in der schwach erhellten Kabine
einander gegenüber, leicht schwankend im Rhythmus der Caprica auf dem sich kräuselnden Meer. Neal strich ihr eine
Haarsträhne von der Wange, die sich dorthin verirrt hatte. Sie blickte zu ihm
auf, in sein Gesicht, das ihrem so nahe war, dass sie einen Hauch von
Rasierseife schnupperte. Der Wunsch, sich an ihn zu schmiegen, stieg in ihr
auf, der Wunsch, sich und ihre Erschöpfung ihm auszuliefern, seine Arme um sich
zu spüren. Auch Neal hätte sie am liebsten in die Arme geschlossen und an sich
gezogen. Aber das durfte nicht sein. Auf der Caprica war eine Epidemie ausgebrochen, und noch immer stand zu
befürchten, dass es zu einer Meuterei kommen würde. Dieser Augenblick, diese Nacht
war alles andere als geeignet, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Er
übernahm die Wache am Krankenbett, Hannah ließ sich auf dem Holzstuhl nieder,
wo sie, den Kopf an den Türrahmen gelehnt, fast augenblicklich einschlief.
Neal, der sie nicht aus den Augen ließ, dachte an den Albtraum, der Hannah
neulich im Schlaf hatte laut aufschreien lassen und von dem er wach geworden
war. Was bedrückte sie derart? Etwa der Tod ihres Vaters? Was waren eigentlich
die wahren Umstände, die zu seinem Tod geführt hatten? Wenn Hannah von seinem
Ableben sprach, drückte sie sich eher rätselhaft aus - »Es waren
gesellschaftliche Vorurteile, die ihn umgebracht haben.« Wie können
gesellschaftliche Vorurteile einen Mann umbringen?, hätte Neal gern gefragt,
und möglicherweise wäre Miss Conroy auch näher darauf eingegangen, aber
eigentlich wollte er dieses Geheimnis gar nicht lüften, denn dann liefe er
Gefahr, sich zu sehr für sie zu interessieren, sich gar in sie zu verlieben.
Und das gestand er sich nicht zu. Für ihn und Miss Conroy gab es keinesfalls
gemeinsame Zukunft - sie war eine Quäkerin, er ein Atheist, sie war von
gutbürgerlicher Herkunft, er ein Bastard, sie war von dem Wunsch beseelt, sich
als Hebamme niederzulassen, er von einer Abenteuerlust besessen, die so ausgeprägt
war, dass er es niemals für längere Zeit an einem Ort aushielt.
Unüberwindliche
Hürden.
Deshalb
würde er sie nie und nimmer fragen, was es mit ihrem Albtraum und mit dem Tod
ihres Vaters auf sich hatte, sondern vielmehr ihre Beziehung als Schiffsbekanntschaft
einordnen - was sie ja auch war -, die unweigerlich zu Ende ging, sobald sie in
Australien landeten und dreizehnhundert Meilen voneinander getrennt waren.
Kurz vor
Tagesanbruch schlug Donny die Augen auf und fragte Hannah, ob sie ein Engel sei.
Dann fragte er nach seiner Mutter und erklärte, Hunger zu haben. Hannah
verabreichte ihm eine warme Brühe, die Mr. Simms gebracht hatte, und wusch ihm
anschließend Gesicht und Hände. Dann nahm Neal den Jungen hoch, und zu dritt
begaben sie sich hinauf, dem morgendlichen Sonnenlicht entgegen.
Kaum wurde
man auf dem Achterdeck ihrer ansichtig, sprang die Menge, die die Nacht im
Freien verbracht hatte, auf und brach in lauten Jubel aus, während die
aufgehende Sonne das Meer um sie golden aufleuchten ließ.
4
»Diese
Wolkenbank gefällt mir nicht, Mister James«, meinte Kapitän Llewellyn mit Blick auf den sich verdunkelnden Horizont. Durch das
Messingfernrohr beobachtete er den aufziehenden Sturm und kam zu dem
unerfreulichen Ergebnis, dass ihnen ein Unwetter bevorstand, dem sie nicht
ausweichen konnten. Auch ein Hafen, den sie hätten anlaufen können, um dort das
Ende des Sturms abzuwarten, war nicht in Sicht.
»Dürfte
nicht zu spaßen sein mit
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