Wood, Barbara
wieder
an Neal Scott denken. Vor allem nachts, wenn sie in ihrer Koje lag und von der
Vorstellung umgetrieben wurde, dass der gutaussehende Amerikaner nur durch
eine dünne Wand von ihr getrennt war. Dann warf sie sich hin und her, stellte
sich seinen muskulösen Körper vor - womit bekleidet? -, ihr Atem stockte,
Schweiß brach aus, und wenn sie dann endlich einschlief, geisterte Mr. Scott
auch durch ihre Träume.
Einmal
mehr überließ sie Sir William Upton sich
selbst und spähte zum Hauptdeck hinunter, auf dem bei strahlender Sonne emsig
gewerkelt wurde. Neal, der eben seinen neuen Freunden zeigte, wie er die Kamera
montiert haben wollte, schwitzte derart, dass ihm das Hemd an seinem Rücken
klebte.
Jetzt
legte er eine Pause ein, wischte sich den Schweiß vom Nacken und schaute dabei
zu Hannah hoch, die mit einer hübschen Seidenhaube sittsam in ihrem Liegestuhl
saß und gerade noch rechtzeitig den Blick von ihm abgewandt hatte.
»Verzeihung,
Sir, wenn ich Sie kurz sprechen dürfte?«
Der Erste
Offizier stand vor ihm, sein Gesichtsausdruck war ernst. »Was gibt's, Mister
James?«
»Ich muss Sie bitten, sich nach unten zu begeben, Sir. Eine Schlechtwetterfront
hält auf uns zu.«
»Schlechtwetterfront?
Wie unangenehm wird's denn werden?«
»Der
Kapitän rechnet mit dem Schlimmsten, Sir. Besser, Sie bringen Ihre Kisten in
Sicherheit. Und ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie den anderen soweit wie
möglich helfen könnten. Vor allem der jungen Dame«, fügte er hinzu und nickte
in Richtung Hannah, die bereits ihre Haube gegen den Wind verteidigte.
Neal eilte
zum Achterdeck. Wie von einer Sekunde zur anderen rannten überall Seeleute und
andere Mitglieder der Besatzung herum, brüllten Anweisungen, erklommen die
Takelage. Offiziere scheuchten die Aussiedler unter Deck. Bis Neal Hannah
erreichte, waren Bootsleute bereits damit beschäftigt, die Luken zum Laderaum
zu verrammeln.
Der Himmel
verfinsterte sich erstaunlich rasch, der Wind nahm an Stärke zu. Matrosen in
breitkrempigen Hüten und Gummimänteln hantierten mit Abdeckblechen, Taljereeps
und Gordings. Die Merriwethers hatten längst ihre Kabine aufgesucht, um sich
und ihre Habe in Sicherheit zu bringen. Da die See zusehends kabbeliger wurde
und das Schiff dadurch immer heftiger schaukelte, half Neal Hannah den
Niedergang hinunter und begleitete sie zu ihrer Kabine; anschließend
vergewisserte er sich, ob seine eigenen Kisten ordnungsgemäß verstaut waren.
In der
Kabine der Merriwethers sagte der Reverend soeben: »Meine Ersatzbrille! Sie muss mir auf Deck aus der Tasche gefallen sein. Bin gleich wieder da.«
»Caleb,
nein!« Abigail eilte hinter ihm her, wollte ihn
zurückhalten. »Das ist zu gefährlich.«
»Wenn
meine Brille kaputtgeht und ich keinen Ersatz dafür habe, bin ich in Australien
aufgeschmissen«, gab er zurück und bedeutete ihr, wieder in ihre Kabine zu
gehen. Aber Abigail ließ sich
nicht abschütteln, folgte ihrem Mann, der sich die Stufen des Niedergangs
hinaufkämpfte, die Luke aufstieß und einen Blick ins Freie riskierte.
Da es ihm
zu waghalsig erschien, bei dem nun heftigen Sturm an Deck seine Brille zu
suchen, wollte Caleb Merriwether die Luke schon wieder schließen, als er einen
offenbar bewusstlosen Matrosen auf den Planken liegen sah. Genau erkennen konnte
Caleb den Mann nicht, da dieser halb hinter einer Rolle Tau verborgen lag.
»Grundgütiger Himmel!«, stieß er aus. »Liegt da nicht ein Mann?«
»Caleb,
bitte, komm, wir gehen wieder runter!«, flehte Abigail hinter ihm.
Der
Missionar mittleren Alters, dessen körperlicher Einsatz seit Jahren darin
gipfelte, die Ringelblumen in seinem Garten von Unkraut zu befreien, schätzte
mit einem kurzen Blick die Situation ab - die tief hängenden dunklen Wolken,
die Gischt, die bis zur Reling hoch schwappte - und traf spontan eine
Entscheidung.
Da der
Mann, der sich dort an der Taurolle zusammenkrümmte, Gefahr lief, über Bord
gespült zu werden, und keiner sonst auf ihn aufmerksam geworden war, zwängte
sich Reverend Merriwether ungeachtet der Versuche seiner Frau, ihn zur Umkehr
zu beschwören, ins Freie, kämpfte sich über das rutschige Deck, während die Caprica sich hob und senkte. Er hoffte inständig, dass der Mann
noch lebte. War er von einer Rah gestürzt?
Abigail,
die Frisur vom Wind zerzaust,
verfolgte entsetzt, wie ihr Ehemann vorwärtsstolperte, zweimal dabei auf den
nassen Planken ausrutschte und den wie leblos daliegenden Mann in dem
Augenblick erreichte,
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