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Wood, Barbara

Wood, Barbara

Titel: Wood, Barbara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieses goldene Land
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aufmerksam aufs Meer gerichtet. Zuvor
hatte sie beobachtet, wie er durch sein Fernrohr gespäht und dem Anschein nach
ein ernstes Gespräch mit Mister James geführt hatte. Dass daraufhin der Erste
Offizier auffallend eilig die Brücke verlassen hatte, ließ darauf schließen,
dass es ein Problem gab. Welches denn? Der Himmel war klar, das Meer ruhig,
alles an Bord schien seinen normalen Gang zu gehen.
    Hannah
blickte zu Neal Scott, der auf dem Hauptdeck an seiner neuen Erfindung
arbeitete - einem Stabilisator für seine Kameras, der es ermöglichen sollte,
fotografische Aufnahmen auf einem Schiff zu machen. Einige Aussiedler, mit
denen Mr. Scott sich angefreundet hatte, halfen ihm mit Säge und Hammer beim
Bau der hölzernen Apparatur, die er in Angriff genommen hatte. Um bei der
Arbeit mehr Bewegungsfreiheit zu haben, hatte er seine Jacke abgelegt, so dass
man die über Kreuz verlaufenden Hosenträger auf seinem breiten Rücken sah, und
die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt. Neal Scott war stämmig gebaut wie die
Ringer, die Hannah von Jahrmärkten her kannte und die für Geld gegen
Herausforderer aus dem Publikum antraten. Erneut befand sie, dass er von seiner
Konstitution her weit besser für körperliche Tätigkeiten geschaffen war als für
die abstrakte Arbeit eines Wissenschaftlers.
    Sie zwang
sich, den Blick von ihm abzuwenden, und nahm sich wieder ihr Buch vor. Seit dem
Ausbruch der Ruhr hatte sie Dr. Applewhite bei der Behandlung von Passagieren
und Mannschaft zur Seite gestanden. Sie hatte durch ihn ihre medizinischen
Kenntnisse erweitert - dass beispielsweise Ingwer in Pulverform bei
Seekrankheit half - und ihm sogar assistiert, die komplizierte Fraktur eines
Seemanns, der aus der Takelage gefallen war, einzurichten. Bei all den neuen
Erfahrungen, die sie sammelte, stellte sich ihr immer wieder eine Frage. Nach
Donny traten keine neuen Fälle von Ruhr auf. Es hatte keine weiteren Todesfälle
gegeben. Die Ruhr war so unversehens und unbegreiflich verebbt, wie sie
ausgebrochen war. Wieso? Welchen Grund gab es dafür?
    Hannah
hatte, als sie England verließ, die medizinischen Instrumente und das
Mikroskop ihres Vaters sowie die gesammelten Aufzeichnungen aus seinem Labor
mitgenommen, die seine Forschungen nach der Ursache von Kindbettfieber und
entsprechenden Heilmitteln enthielten. Bislang hatte sie es zwar noch nicht
über sich gebracht, diese Unterlagen durchzugehen, da sie, wie zu befürchten
stand, nur schmerzliche Erinnerungen wecken würden. Ihre Wissbegier jedoch,
der Seuche an Bord auf den Grund zu gehen, gab ihr aber dann doch die Kraft,
das Portefeuille ihres Vaters zu öffnen - eine Sammlung loser Blätter zwischen
zwei festen Deckeln, das Ganze mit einem Band umschlungen -, in der Hoffnung,
mehr über seine Behandlungsmethoden zu erfahren. Entgegen ihrer Erwartung, auf
Heilmittel zu stoßen, auf Anhaltspunkte für die Diagnose und ärztliche
Maßnahmen, förderte das Portefeuille rätselhafte Notizen, Gleichungen, Rezepte
und noch mehr Fragen zutage. Alles kunterbunt durcheinander. John Conroy, der
gewissenhafteste Quäker überhaupt, von ethischen Verhaltensweisen und Moral
durchdrungen, umsichtig und unbeugsam, erwies sich bei dem, was er in seinem
Labor zu erforschen gesucht hatte, als überraschend plan- und ziellos.
    Was Hannah
am meisten verblüffte, war eine Frage, die auf der ersten Seite seiner
Aufzeichnungen stand und dem Datum nach sechs Jahre alt war: »Was hat meine
geliebte Louisa umgebracht?«
    Eine
merkwürdige Frage, wie Hannah fand, wo er doch gewusst hatte, dass Louisa an Kindbettfieber gestorben war. Genau dieses Fieber war es auch
gewesen, was ihn fortan wie ein Besessener nach den Ursachen hatte forschen
lassen. Hatte die Frage etwa mit seinen letzten und so kryptischen Worten zu
tun, mit »dem wahren Grund für den Tod deiner Mutter«?
    Da die
Aufzeichnungen des Vaters unverständlich waren, hatte Hannah das Portefeuille
beiseitegelegt und versucht, ihren neu erwachten Wissensdurst anderweitig zu
stillen. Dr. Applewhite hatte ihr freigestellt, sich aus seiner kleinen
Sammlung medizinischer Fachbücher zu bedienen, ein Angebot, dem sie nur allzu
gern nachkam. Das Buch, das sie im Augenblick durcharbeitete, trug den Titel Pathologie & Medizin von Sir William Upton. Es enthielt so manches für sie bislang Unbekannte.
    Wieder
schaute sie auf. Noch nie hatte sie sich so leicht ablenken lassen. Bei allem
neu erwachten Interesse an Medizin und Forschung musste sie doch immer

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