Wood, Barbara
suchen.«
»Sie
brauchen aber einen, ob Ihnen das nun gefällt oder nicht«, entgegnete Mrs. Merriwether so nachdrücklich, dass die grauen Löckchen, die aus ihrer
Haube hervorspitzten, auf und nieder wippten. »Bei einer Hebamme wird
vorausgesetzt, dass sie verheiratet ist und selbst Kinder hat. Es schickt sich
einfach nicht, dass sich eine ledige junge Frau mit Vorgängen abgibt, die ins
Schlafzimmer gehören. Ihre Fachkenntnisse sind keinen Pfifferling wert,
solange Sie noch nicht selbst entbunden haben. Wenn Sie hier einen Fuß auf den
Boden bekommen wollen, meine Liebe, müssen Sie erst einmal heiraten.«
Und dann
standen Neals Kisten und Ausrüstungskoffer am Ufer und es wurde für ihn Zeit,
sich von Hannah zu verabschieden. »Ich habe keine Übung darin, meine Gefühle
in Worte zu kleiden«, sagte er gepresst. »Ich kann stundenlang über alles
Mögliche reden, nur wenn es um Herzensangelegenheiten geht, ist meine Zunge wie
gelähmt. Aber bevor wir uns trennen, Hannah, muss ich Ihnen unbedingt sagen, wie sehr Sie mich beeindruckt haben. Seit
dem Tag, da Josiah Scott mir reinen Wein darüber einschenkte, wie ich zu ihm
gekommen war, hatte ich für meine Mutter nur Verachtung empfunden. Dass sie
mich im Stich gelassen hat, konnte ich ihr einfach nicht verzeihen. Erst Sie,
meine liebe Hannah, haben mich von meiner starrsinnigen Einstellung abgebracht,
als Sie mich über dieses Tränenfläschchen aufklärten. Das hat mir die Frau, die
meine Mutter ist, von einer anderen Seite gezeigt und in mir den Wunsch
geweckt, unbedingt die Wahrheit über meine Geburt und meine Herkunft in
Erfahrung zu bringen. Ich habe vor, alle möglichen Stellen anzuschreiben,
Behörden, Gemeinderäte, auch Kirchensekretariate. Ich will jetzt einfach
wissen, wer meine Mutter ist.«
Über den
eigentlichen Grund, weshalb er seine Abstammung in Erfahrung bringen wollte,
schwieg er sich aus. Dazu war es noch zu früh. Über gewisse Dinge spricht man
erst, wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist. Neal Scott hatte Pläne,
aufregende, weitreichende Pläne, in denen es um eine gemeinsame Zukunft mit
Hannah ging. Und auch wenn er ahnte, dass Hannah selbst nichts darauf gab, ob
er ein Bastard war oder nicht, wusste er, dass andere ganz anders darüber
dachten. Die Gesellschaft verachtete unehelich Geborene. Seine Vergangenheit
könnte wieder auferstehen und die Gegenwart überschatten, sich sogar auf ihre
Kinder nachteilig auswirken. Folglich musste er, ehe er daran denken konnte,
ihr einen Antrag zu machen, wissen, wer er war.
Die besten
Aussichten, dies herauszubekommen, hätten wohl bestanden, wenn er geradewegs
umkehrte, eine Passage auf einem der Schiffe, die im Hafen ankerten, buchte und
über England zurück nach Boston fuhr, um dort intensiv die Suche nach seiner
Mutter aufzunehmen. Aber das war unmöglich. Er hatte einen Auftrag übernommen.
Außerdem wollte er nicht Abertausende Meilen von Hannah getrennt sein. »Der
Abschied von Ihnen fällt mir unendlich schwer«, sagte er.
»Mir geht
es ebenso«, sagte Hannah leise. Sechs Monate war es her, seit sie in England in
See gestochen waren, und sie fand es schrecklich, sich von Neal Scott trennen
zu müssen. Am liebsten wäre sie ebenfalls hier von Bord gegangen, hätte nicht
der Wunsch, sich in der neuen Welt als Hebamme niederzulassen, die Oberhand
gewonnen. Dieser Wunsch war seit dem Sturm noch klarer geworden und hatte sie
darin bestärkt, dass es keine Zeit zu verlieren galt.
Sie
schaute hinüber zum Festland. Was sie sah, war eine junge Kolonie - ein paar
Lagerhäuser unweit der Anlegestelle, Militärbaracken, aus Holz hochgezogene
Gebäude, vereinzelte Häuschen und Buden in der Nähe des Ufers. Nicht gerade
eine vielversprechende Ansiedlung, um eine Praxis zu eröffnen und gleichzeitig
ihrem neu erwachten Interesse nachzugehen, heilend tätig zu werden. Außerdem
würde Neal seine Tätigkeit auf einem Forschungsschiff aufnehmen und erst in
einem Jahr zurück sein.
»Ich
wünsche Ihnen, dass Sie Antwort auf all Ihre Fragen erhalten«, sagte sie.
Mochte Neal auch behaupten, dass es ihm, ungebunden wie er sei, frei stehe,
hinzufahren, wohin er wolle, und welche Geheimnisse auch immer zu ergründen -
Hannah nahm ihm dies einfach nicht ab, sondern vermutete, dass er vielmehr von
etwas getrieben wurde, was ihn tief innerlich quälte - dem Geheimnis um seine
Herkunft auf die Spur zu kommen, um seinen Platz im Leben zu finden. Sie
spürte, dass er nicht eher wirklich frei sein
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