Wood, Barbara
Sie
sind nicht verheiratet?« Dr. Davenport warf ihr über die Brille hinweg
einen forschenden Blick zu.
Unseligerweise
hatte sich Mrs. Merriwethers
Prophezeiung erfüllt: Niemand engagierte eine junge, unerfahrene und vor allem
unverheiratete Hebamme. »Warum sagst du nicht einfach, du bist verwitwet?«,
hatte Molly Baker gemeint, die wie Hannah in Mrs. Throckmortons
Privatpension wohnte. »Dagegen kann niemand etwas einwenden, und damit giltst
du als Ehefrau. Für unverheiratete Mädchen geziemt es sich nicht zu wissen,
was sich hinter Schlafzimmertüren abspielt. Wie kannst du da also Frauen von
Babys entbinden, wenn du gar nicht weißt, wie sie in sie reingekommen sind?«
Molly hatte ja recht. Aber Hannah wollte ihr neues Leben nicht auf einer
Verschleierungstaktik aufbauen. »Ich bin tatsächlich nicht verheiratet«, sagte
sie zu Dr. Davenport.
Ihr Status
war nicht das einzige Hindernis für die Eröffnung einer Hebammen-Praxis. Wie
sich herausgestellt hatte, wachten niedergelassene Hebammen in der Stadt
eifersüchtig über ihr Revier und machten es neu Hinzugezogenen unmöglich,
Patientinnen zu gewinnen. Hannah hatte in Regionalzeitungen Annoncen
aufgegeben, hatte an öffentliche Anschlagtafeln Zettel geheftet, war persönlich
bei den hier ansässigen Apothekern vorstellig geworden - sie hatte sogar im
Stadtpark Kindermädchen angesprochen und sie gebeten, ihren Namen
weiterzugeben. Aber die wenigen Vorstellungsgespräche, zu denen sie - durch
Boten - aufgefordert worden war, hatten katastrophale Ergebnisse gezeitigt.
»Was, Sie sind die
neue Hebamme? So blutjung, wie Sie sind? Und noch dazu unverheiratet, ohne
eigene Kinder?«
Da sich
ihre Geldmittel allmählich erschöpften, die Miete aber dennoch bezahlt werden
musste, war Hannah auf die Knie gesunken und hatte so inbrünstig wie nie
gebetet und auch ihren Vater um Beistand angefleht. Nachts dann hatte sie wie
schon so oft davon geträumt, wie er ihr in der kalten, düsteren Bibliothek auf
Falconbridge Manor die
Jodflasche in die Hand gedrückt und gesagt hatte: »Das ist der Schlüssel« oder
»Ich muss dir den wahren Grund für den Tod
deiner Mutter anvertrauen«. Geheimnisse, die Hannah im Schlaf heimsuchten und
ihr tagsüber Kopfzerbrechen bereiteten. In diesem letzten Traum jedoch hatte
ihr Vater noch etwas gesagt: »Du hast mir geholfen,
Hannah, du kannst auch anderen Ärzten helfen.«
Auf der
Suche nach einer Anstellung war sie die Inserate in den Zeitungen
durchgegangen, die Anschläge auf dem Postamt und an anderen öffentlichen Orten,
hatte auf Stellenangebote von Ärzten geantwortet. Aber auch das war erfolglos
geblieben; entweder suchte man männliche Assistenten oder ein Dienstmädchen.
Hannah gehörte einer Kategorie an, die es anscheinend nicht gab.
Zu guter
Letzt hatte sie sich aufgerafft, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie
hatte sich eine Liste von Ärzten in Adelaide besorgt und sie nach und nach
persönlich aufgesucht, ihnen ihre Dienste angeboten und versucht, sie davon zu
überzeugen, dass sie ihrer Mitarbeit bedurften. Drei hatten bereits abgelehnt.
»Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, junge Dame, heiraten Sie lieber.«
»Ich habe
bereits ein Dienstmädchen.«
»Sie
sollten sich was schämen.«
Jetzt saß
sie sittsam Dr. Gonville Davenport in seiner stickigen Praxis am Light Square gegenüber und hoffte
inständig, es möge diesmal klappen. Trotz ihrer rapide schwindenden Barschaft
hatte sie sich für dieses Gespräch eigens eine der neuesten Mode entsprechende
Garderobe zugelegt: ein halsfreies, taillenbetontes lavendelfarbenes Kleid mit
purpurfarbenen Samtbiesen und Knöpfen und weiten Ärmeln, deren seitliche
Schlitze mit weißer Rüsche besetzt waren. Farblich passende Handschuhe und eine
anmutige Haube vervollständigten das Ensemble.
Vom Kauf
einer dieser neumodischen Handtaschen hatte sie abgesehen; sie erachtete sie
als geradezu lächerlich, da sie zu klein waren, um sehr viel mehr als ein
Taschentuch darin unterzubringen. Sie hielt an ihrer mit Silber- und Goldfäden
zu einem exotischen Muster durchwirkten Teppichtasche aus blauem Samt fest.
Ihre Mutter hatte die Tasche in Marokko erstanden und ihre Bühnenschminke darin
aufbewahrt. Jetzt barg sie Hannahs kostbarsten
Besitz: Instrumente und Medizinen aus der Arzttasche ihres Vaters, darunter die
Proberezeptur Nr. 23, zu drei Viertel gefüllt mit Jodtinktur; den
Lieblingsgedichtband ihrer Mutter, den ihr John am Hochzeitstag geschenkt und
den er mit der
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