Wood, Barbara
Arbeit zu finden, für die ihr euch nicht zu schämen
braucht, und eine anständige Unterkunft.« Und an Lulu gewandt: »Ich könnte mir
vorstellen, dass die Behörden interessiert daran sein dürften zu erfahren, was
in diesem Hause vorgeht.«
Lulu
lachte dröhnend auf. »Raten Sie mal, wer zu meinen besten Kunden zählt!«
Als Hannah
mit Alice auf die Hintertür zuging, meinte Lulu höhnisch: »Wie wollen Sie denn
die zehn Meilen bis in die Stadt zurücklegen? Zu Fuß etwa?«
»Ich werd
sie bringen!«, brüllte Walt Gilhooley von der Treppe aus. »Sie können mir und
Ida nichts antun, was Sie uns nicht bereits angetan haben.« Er bedeutete
Hannah, ihm zu folgen.
»Das wird
Ihnen noch leidtun, Miss Neunmalschlau!«, rief Lulu Hannah hinterher. »Verdammt
leid!«
8
Gonville
Davenport, Doktor der Medizin, summte vergnügt vor sich hin, während
er sich duftende Pomade ins dichte schwarze Haar kämmte und sich im Spiegel
über seiner Waschschüssel musterte. Als er die ersten Anzeichen von Grau an den
Schläfen entdeckte, runzelte er die Stirn und überlegte, ob er sie vielleicht
mit schwarzer Stiefelwichse abdecken sollte. Die Pomade hatte er sich gestern
bei Butterworth's zugelegt, um, wie er sich einredete, einen besseren Eindruck
auf seine Patienten zu machen.
In
Wirklichkeit hatte diese zusätzliche Haarpflege mit Miss Hannah Conroy zu tun.
Davenport hielt an zwei Überzeugungen fest: dass der Mensch im Grunde gut ist
und dass ein Mann gelegentlich von seinen Gewohnheiten abweichen, die sich
selbst auferlegten Hürden überwinden und dem Schicksal vertrauen sollte. Miss
Conroy hatte diese beiden Überzeugungen auf den Prüfstand gestellt, als sie vor
drei Monaten in seiner Praxis erschien und mit dem geradezu abenteuerlichen
Vorschlag herausrückte, als Assistentin bei ihm zu arbeiten. Davenport war zunächst misstrauisch gewesen - was wollte sie damit bezwecken? -,
dann aber hatte ihn ihre lautere Gesinnung überzeugt, und er hatte beschlossen,
es probehalber mit ihr zu versuchen. Es hatte sich bezahlt gemacht.
Miss
Conroy hatte sich nicht nur als ein Segen für seine Praxis erwiesen; sie hatte
darüber hinaus auf Eis gelegte Interessen in ihm wiedererweckt, die erneut
anzupacken Davenport Auftrieb
gab. Seit er, ein kinderloser Witwer, nach Adelaide gekommen war, war er
zusehends abgestumpft; für die Leiden seiner Patienten brachte er nicht mehr
als nur noch berufsmäßiges Interesse auf, sie bedrückten ihn nicht sonderlich.
Erst durch Hannah Conroys intensives Nachfragen kam er sich wieder wie ein
Student der Medizin vor, ging seither neugierig allem auf den Grund, wollte wie
sie Antworten auf Ungereimtheiten erhalten, Lösungen suchen.
Vor allem
gab ihm zu denken, was Miss Conroy ihm anvertraut hatte. »Meine Mutter ist an
Kindbettfieber gestorben«, hatte sie eines Nachmittags nach der Sprechstunde
angefangen, als er Eintragungen in seine Patientenkartei machte und sie den Boden
fegte. »Das hat mein Vater gesagt und der Leichenbeschauer ebenfalls, die Symptome
waren ja wohl auch eindeutig. Für meinen Vater war dies ein Anreiz, danach zu
forschen, wie man dem Ausbruch von Kindbettfieber zuvorkommen beziehungsweise
Kindbettfieber heilen kann. Umso merkwürdiger, dass ich nach seinem Tod in
seinen Laboraufzeichnungen eine Notiz fand, auf der stand: >Woran ist meine
geliebte Louisa gestorben?<
Könnte es
sein, Dr. Davenport«, hatte Miss Conroy gefragt, ihren Besen beiseitegestellt
und ihn mit diesen bezwingend grauen Augen angesehen, »dass nach Meinung
meines Vaters die Ursache für den Tod meiner Mutter eine andere war?«
Davenport
hatte Miss Conroy gebeten, ihm zu beschreiben, wie die Erkrankung der Mutter,
die zu ihrem Tod geführt hatte, ausgebrochen und verlaufen war, und danach
stand für ihn eigentlich auch fest, dass Louisa Conroy am
Kindbettfieber gestorben war. Warum der Vater dies im Nachhinein angezweifelt
hatte, blieb ihm ein Rätsel.
Davenport
hatte bedauert, ihr nicht weiterhelfen zu können, aber noch in derselben Nacht
hatte er sich Bücher vorgenommen, die er seit Jahren nicht angerührt hatte, und
sich in medizinische Texte vertieft. Zum ersten Mal seit Ediths Tod entwickelte
Gonville Davenport wieder Interesse für ein medizinisches Problem, auch wenn
er letztendlich keine Antwort auf Hannahs Frage
fand.
Mit der
Zeit stellte er fest, dass es ihm Freude machte, seine Fachkenntnisse
weiterzugeben. Schon weil sich Miss Conroy als wissbegierige und eifrige
Schülerin
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