Wood, Barbara
Verliebte, die sich einem völlig neuen
Verlangen überließen, das schmerzlich und süß zugleich war.
Neal hätte
sie am liebsten nie wieder losgelassen. Aber dann gab er sie doch frei.
»Hannah, mein Gott, Hannah.«
»Du bist
da«, sagte sie, und wie selbstverständlich kam ihr das Du über die Lippen, auf
die Neal gleich darauf wieder seine drückte; mitten auf der von roter Erde
bedeckten Straße klammerten sie sich mit der gleichen Verzweiflung aneinander
wie damals, als das Unwetter sie auf ewig zu verschlingen drohte. Diesmal aber
herrschte keine Dunkelheit, und da war auch kein kalter Ozean, sondern goldene
australische Sonne und ihr eigener hitziger Überschwang.
Neal wich
erneut zurück, diesmal einen ganzen Schritt, und als er Hannah auf Armlänge vor
sich stehen sah, bemerkte er, dass die obersten Knöpfe ihres Mieders offen
standen und den Ansatz eines weichen Busens sowie ein Eckchen Spitze von ihrer
Untertaille erkennen ließen. Dass die blasse Haut um ihren Ausschnitt herum
mit winzigen Schweißperlen benetzt war. Grenzenloses Verlangen überkam ihn. Und
dann entdeckte er etwas, das ihn erröten ließ: ein Stückchen Stoff, bestickt
mit den Initialen N. S.
Sein
Taschentuch!
Sie trug
sein Taschentuch an ihrem Busen! Verwirrt, wie aufreizend diese Entdeckung auf
ihn wirkte, trat er einen weiteren Schritt zurück.
»Ich habe
deine Nachricht bekommen«, sagte Hannah atemlos und wischte sich, ohne ihn aus
den Augen zu lassen, ein paar Strähnen aus dem Gesicht. »Du brichst heute auf?«
»Ich
muss.« Seine Stimme war belegt, so berauscht war er von ihrem Augenblick, dass
er die jungen Burschen nicht beachtete, die da am Straßenrand herumlungerten
und die junge Frau mit dem direkt schamlos wehenden Haar und dem unzüchtig
geöffneten Mieder, das solch verborgene Schätze preisgab, anglotzten.
Sein
Taschentuch ...
Neal besaß
noch immer ihren Handschuh, den er bei der Landung in Perth von ihr als
Gegengeschenk erhalten hatte. Jedes Mal, wenn er ihn wie ihre Hand zärtlich
umschlossen hatte, hatte er überlegt, ob sie wohl noch sein Taschentuch besaß.
Hätte er gewusst, wo sie dieses kleine Leinenviereck aufbewahrte, wäre er
möglicherweise vom Schiff gesprungen und nach Adelaide geschwommen.
Stumm
schauten sie sich in die Augen, bis die Realität wieder die Oberhand gewann.
»Du musst wirklich heute aufbrechen?«, flüsterte sie.
Er sah die
kleinen Schweißperlen an ihrer Kehle, auf ihrer hohen Stirn, ihrer Oberlippe.
Zum Teufel mit Sir Reginald, durchzuckte es Neal. »Vielleicht ...«, hob er an.
Nein. Er musste los. »Hannah«, sagte er, »ich hab eine Idee.« Er umfasste so
unvermittelt ihre Schultern, dass den Gaffern die Kinnlade herunterfiel. »Ich
muss zurück in die Stadt und meine restlichen Sachen holen. Dort steht ein
Planwagen, den ich gemietet habe, und dort wartet auch ein Assistent. Da wir
aber den Spencer-Golf entlang nach Norden ziehen, kommen wir nochmals hier
vorbei. Komm mit nach Adelaide, ich bringe dich dann wieder zurück. Dadurch
bliebe uns mindestens noch eine Stunde, die wir miteinander verbringen
könnten.«
Hannah
brauchte nicht überredet zu werden. Sie eilten zurück zum Hotel, an den jungen
Burschen vorbei, die enttäuscht über das jähe Ende der so vielversprechenden
Szene waren. Hannah lief auf ihr Zimmer, um sich rasch umzuziehen, und Neal bat
die jungen Kerle im Hof, ein frisches Pferd für Miss Conroys Einspänner zu
beschaffen und seine Stute hinten anzubinden.
Während er
unruhig in der Eingangshalle wartete und Ruth Guinness ihn verträumt
anhimmelte, kehrten Liza und Edna zurück. Als sie Mr. Scott erblickten, blieben sie wie angewurzelt
stehen. »Wir dachten, Sie wären längst weg!«
»Mum«,
gluckste Ruth, »Hannah ist zurück, und es kam zu einer wahrlich romantischen Begegnung auf der Straße!«
»Ruth
Ophelia Guinness, wie kannst du nur so etwas sagen!« Liza gab sich empört, wiewohl mit einem breiten Grinsen und neugierig
funkelnden Augen. »Wie schön, dass Sie Hannah doch nicht verpasst haben, Mr.
Scott.«
Neal, der
sich unter den prüfenden Blicken der drei Frauen höchst unbehaglich fühlte, war
erleichtert, als er hörte, wie oben eine Tür geöffnet und wieder geschlossen
wurde und sich Schritte dem oberen Treppenabsatz näherten. Dann sah er Hannah
dort oben stehen, und das Herz schlug ihm bis zur Kehle.
Sie trug
ein blassrosa Kleid mit weißen Spitzen um Manschetten und Kragen und weißen
Knöpfen vom Hals bis zur schlanken Taille.
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