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Agenten läsen, deren Kenntnisse sich nicht nur auf die Physis erstrecken, sondern auch auf die Psyche. Kooperation statt Zwang.«
Obwohl er Fitzhugh nicht ausstehen konnte, musste ihm Milo Recht geben. Er selbst empfand es als schwerwiegenden Mangel, dass die Agenten »nicht als Federn, sondern als Hämmer ausgebildet wurden« - so hatte er es gegenüber Grainger einmal ausgedrückt. Tom hatte die Metapher als dürftig abgetan, und Milo hatte einen neuen Anlauf gewagt: »Touristen sollten mobile Propagandamaschinen sein. Private und politische Propaganda.« Um ihn abzuwimmeln, hatte Grainger versprochen, Milos Anregungen zu überdenken.
Nach einer längeren Ausbildung in der Farm wurde Harris nach Peking geschickt, um bei dem damals berühmten Jack Quinn in die Lehre zu gehen, der nach Company-Legenden einen großen Teil des Kalten Kriegs in Asien allein bestritten und dabei Leute und Informationen zwischen Vietnam, Kambodscha, Hongkong, China und Malaysia hin und her geschleust hatte. Sein einziger Fehltritt unterlief ihm in Japan, wo er von 1985 bis zu seinem Krebstod 1999 Persona non grata war.
Quinns erste enthusiastische Berichte über seinen neuen Mitarbeiter hoben vor allem dessen Fähigkeit hervor, Informationen rasch zu erfassen, dazu die fast schon muttersprachliche Geläufigkeit im Hochchinesischen und eine hervorragende nachrichtendienstliche Kompetenz. Von August bis November 1991 baute Harris ein Netz von zwölf Agenten aus den Reihen der Schreibkräfte in der chinesischen Regierung auf. Aus diesen Quellen flossen Informationen, die nach Überprüfung zu durchschnittlich drei Berichten im Monat über die Spannungen und Intrigen innerhalb des chinesischen Zentralkomitees führten.
Doch schon 1992 kam es zu ersten Unstimmigkeiten in der Pekinger Station. Wenn man die Mitteilungen von Quinn und Harris verglich, trat die Problematik klar hervor. Harris, der aufsteigende Star, wollte die Kontrolle über die Niederlassung übernehmen, während Quinn, der seine Glanzzeit inzwischen hinter sich hatte, sich mit aller Kraft an seine Position klammerte. Aus weiteren Aktennotizen ließ sich ablesen, dass man in Langley die Position Quinns für unantastbar und entsprechend disziplinarische Maßnahmen gegen Harris für angebracht hielt. Es folgte ein dreimonatiger Zwangsurlaub, den er bei seiner Familie in Boston verlebte.
Hier kam wieder Fitzhugh ins Spiel, der eigens nach Boston reiste und Beurteilungen über den jungen Agenten schrieb. Er erwähnte zwar Harris' Verärgerung über seine schäbige Behandlung, bescheinigte seinem Schützling aber auch »eine weit überdurchschnittliche Eignung in allen Bereichen geheimdienstlicher Tätigkeit«. Folgerichtig drang er darauf, seine weitere Beschäftigung sicherzustellen. Der Rest von Fitzhughs Bericht war eingeschwärzt.
Als Harris im Februar 1993 nach Peking zurückkehrte, herrschte einen Monat lang Burgfrieden, bevor wieder Probleme auftauchten. Quinn beschwerte sich über einen neuerlichen Angriff auf seine Position, und Langley schlug unverzügliche Disziplinarmaßnahmen vor, bestand aber darauf, dass Quinn ihn auf keinen Fall zurückschickte. Harris wurde degradiert, und seine Netze wurden von Quinn übernommen; laut einigen hastig hingekritzelten Notizen hatte Quinn allerdings Bedenken, es mit der Bestrafung vielleicht ein wenig übertrieben zu haben. Harris fing an zu trinken, erschien zu spät zur Arbeit in der Botschaft und schlief mit allen möglichen Ladenmädchen aus der ganzen Stadt. Zweimal griff ihn die Pekinger Polizei wegen öffentlicher Liebesbekundungen auf, und ein befreundeter Beamter aus Chinas Außenministerium regte sogar an, den jungen Unruhestifter in ein Land zu verfrachten, »wo solche Aktivitäten eher der Norm entsprechen«.
Dem auf den 12. Juli 1993 datierten Vermerk über diesen Vorschlag folgte fünf Tage später die Abschrift und Übersetzung eines Polizeiberichts über einen Autounfall auf der Autobahn Guiyang-Bije in der Provinz Guizhou. Der auf Harris zugelassene Diplomatenwagen stürzte 305 Meter tief von der Liuguanghe-Brücke. Nach Eingang der Nachricht forderte Quinn, dass ein amerikanisches Team hinzugezogen wurde, um die Wrackteile zu durchkämmen. China stimmte großzügig zu. Das Team räumte die Trümmer weg, und Harris' Überreste wurden in ein Familiengrab in Somerville überführt.
Die Akte enthielt nichts über Harris' Wiedergeburt als Tourist: weder eine Liste seiner Einsätze noch die daraus resultierenden
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