Working Mum
lassen, schaue ich schnell weg und konzentriere mich mit verschwommenem Blick auf die Grabsteine um uns herum. Geliebter Sohn. Vater und Großvater. Einziges Kind von. Geliebte Frau und Mutter. Schwester. Frau. Mutter. Mutter. Im Tod werden wir nicht durch das definiert, was wir vollbracht haben oder wer wir waren, sondern durch das, was wir anderen bedeutet haben.
Wie gut wir geliebt haben und wie diese Liebe erwidert worden ist.
Nicht vergessen
Alles ist vergänglich.
Einem Kind die kalten Wangen küssen.
Immer gleich zurückrufen.
27
Eine Meinungsänderung
Es ist still hier draußen auf dem Sims. Ich kann das Hupen und Zischen der City unter mir hören, aber es wird gedämpft durch die Höhe, erstickt von einer Decke aus Luft.
Ich bin jetzt ganz nahe an der Taube. Ich kann sie sehen, und sie kann mich sehen. Sie macht ein leises gurrendes Geräusch, und ein wütender Schauer läuft ihr über den Nacken. Jeder Instinkt gebietet ihr wegzufliegen, jeder, nur nicht der, der ihr sagt, dass sie bei ihrem Küken bleiben muss. Eins ist geschlüpft, während ich in Sussex war. Es war schwierig, das Kleine vom Büro aus zu sehen, aber aus dieser Nähe habe ich einen guten Blick drauf. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass dieses Wesen eines Tages fliegen können wird. Es sieht nicht aus wie ein Vogel, eher wie eine verzerrte Skizze von einem Vogel. Schrumpelig und kahl wie alles Neugeborene wirkt es uralt, tausend Jahre alt.
Ich habe versucht, das Fenster aufzumachen und rauszulangen, aber vor lauter Dreifachverglasung kriegt man keins der Fenster in Nestnähe auf. Mir blieb also nichts anderes übrig, ich musste aus dem nächstliegenden Fenster klettern. Und jetzt schiebe ich meine Sammlung großer Bücher den Sims entlang. Die Bände sind sorgfältig nach Größe und Haltbarkeit ausgewählt worden:
The Square Meal: Ein Restaurantführer für die City
Börsenprognosen 2000
CFBC’s Global Directions für 1997, 98 und 99
Ein Bericht über die Pharmazeutische Industrie
Ein Langenscheidt-Italienisch-Sprachkurs, den ich angefangen und nie zu Ende gebracht habe
Zehn Naturgesetze des erfolgreichen Zeit- und Lebensmanagements: Erprobte Strategien zur Erhöhung der Produktivität und des inneren Friedens
Letzteren sollen die Vögel unbedingt bekommen. Für den Fall, dass die da draußen nicht so ganz fit sind, hab ich noch Das Handbuch der zukünftigen Finanzwelt draufgelegt, ein Werk, das so tief und interessant ist wie ein Rammbock. Es geht darum, einen Schutzwall um die Taube und ihr Nest zu bauen.
Als ich auf dem Rückweg von Jills Beerdigung war, hat Guy mich angerufen. Gute Nachrichten, sagte er, der Mann von der Hausverwaltung habe ihm mitgeteilt, der Falkner werde morgen vorbeikommen. Ich war diejenige, die gewollt hat, dass der Falke kommt, und nun will ich um jeden Preis, dass er wegbleibt.
Unten auf der Piazza, dreizehn Stockwerke tiefer, wird die Menge auf mich aufmerksam, die ersten Pendler zeigen mit Fingern auf die Frau auf dem Fenstersims. Wahrscheinlich fragen sie sich, ob ich ein Opfer der Rezession oder einer Herzensangelegenheit bin. Ein Börsenmakler hat sich neulich morgens in Moorgate vor den Zug geworfen und es nicht geschafft, er ist in diese Senke zwischen den Gleisen gefallen und vom Rettungsteam rausgezogen worden. Alle sagten, was für ein Wunder das sei, aber ich hab mich gefragt, wie es sich wohl anfühlt, wenn es einem so schlecht geht, dass man allem ein Ende setzen möchte, und auch das nicht hinkriegt. Würde es einem vorkommen wie eine Wiedergeburt oder wie der lebendige Tod?
Hinter mir driftet Candys Stimme aus dem Büro heran, keck wie immer, aber mit einem Hauch von Sorge.
«Kate, komm sofort wieder rein.»
«Ich kann nicht.»
«Schätzchen, so was ist meistens nur ein Hilfeschrei. Wir lieben dich doch alle.»
«Ich schrei nicht um Hilfe, ich will die Taube verstecken.»
«Kate?»
«Ich muss ihr helfen.»
«Warum?»
«Der Falke kommt.»
Ich kann tatsächlich hören, wie Candy schnaubt. «Es kommt immerzu irgendein Scheißfalke. Ich kann es nicht fassen, dass wir hier über einen blöden Vogel reden. Komm auf der Stelle rein, Kate Reddy, oder ich rufe den Sicherheitsdienst.»
Durch die Scheibe verfolgt eine Gruppe EMF-Angestellter meine Bemühungen und bricht in ironischen Jubel aus, als ich einen weiteren Band in Position bugsiere. Mein Blick fällt auf meine Hand, der Ehering glitzert, das Ekzem zieht sich die Knöchel entlang, und ich denke
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