World's End
und er liebte diese Planken; er hackte Holz für den Ofen und liebte die gespaltenen Scheite, liebte das Beil, liebte den ehrwürdigen Eichenklotz mit seinem uralten Netzmuster aus Kerben und Narben. Vom Klang des Windes in den Segeln war ihm schwärmerisch, schwindlig zumute, er wurde so trunken vom Puls des Universums wie Walt Whitman selbst, und wenn er den glatten, lackierten Griff der Ruderpinne packte und der Fluß daran zerrte wie etwas Lebendiges, dann spürte er eine nie gekannte Kraft. Aber da war noch mehr, viel mehr – er liebte die engen Kojen, die Feuchtigkeit in seinen Kleidern, wenn er sie morgens überstreifte, das Gefühl der kalten Decksplanken unter seinen nackten Füßen. Und die Gerüche – rauchiger Holzbrand, Salzluft, verrottender Fisch, der gute, satte, menschliche makrobiotische Geruch am Bug, das Aroma des frischen, unbehandelten Holzes der Kajüte, angebratener Knoblauch in der Kombüse, irgend jemandes offenes Bier, saubere Wäsche, schmutzige Wäsche, das Duftkissen eines Lebens auf See.
Es erstaunte ihn jedesmal von neuem, wenn er daran dachte, aber er war nicht mehr der Heilige der Wälder. Er war jetzt ein Seemann, eine Teerjacke, ein Plankenschrubber, der Heilige vom Hudson. Kein Einsiedler mehr, sondern der Gefährte seiner Maate, bewundert und geschätzt für seine Clownerien, seinen Bart, die zarten, seelenvollen Bluesmelodien, die er abends in seiner Koje auf der Mundharmonika blies, Jessica an sich gekuschelt. Ja, die Arcadia . Sie war ein Segen. Ein Wunder. So unglaublich für Tom, wie es der erste Landrover für die Eingeborenen im australischen Busch gewesen sein mußte. Unvorstellbar: eine schwimmende Hütte! Eine schwimmende Hütte, die allen Hippie-Idealen gewidmet war und gerecht wurde – langen Haaren und Vegetariertum, Astrologie, der Sumpfdeckelschnecke, der Frieden-Jetzt-Bewegung, dem Satori, dem Folk und der Ziegenkotverwertung. Und insgeheim auch Gras, Hasch und Acid. Aus der ursprünglich geplanten einmonatigen Fahrt – im September – waren zwei Monate geworden, dann kam Halloween und ging vorbei, es wurde November, und Tom Crane stieg unterdessen zum Rang des Steuermanns auf. Der Heilige vom Hudson. Das gefiel ihm. Der Klang gefiel ihm.
Und die Hütte? Die Ernte des Sommers? Die Ziege? Die Bienen? Nun ja, eines Tages würde er schon wieder zurückkehren. Einstweilen aber erlaubten ihm die Erfordernisse des Seemannslebens nicht, sich darum zu kümmern, deshalb hatte er die Tür mit einem Vorhängeschloß gesichert, die Ziege verkauft, die späten Kürbisse dem ersten Frost und die Bienen ihrem Schicksal überlassen. Nach dem Begräbnis hatten er und Jessica ihre Sachen sang- und klanglos in das entzückend-erdrückende Farmhaus aus dem 18. Jahrhundert verlagert, das mit viel Platz und all dem funkelnden Zubehör der Moderne wie Geschirrspüler, Toaster und Fernseher lockte, mit einer gepflasterten Auffahrt und den mit Teppichen ausgelegten Gängen. Es wirkte alles ein wenig zu – nun ja, bürgerlich – auf ihn, aber der streßgeplagten Jessica gefiel der Komfort des Hauses. Sie hatte an der New York University einen Studienplatz für Meeresbiologie bekommen, außerdem hatte sie noch den Teilzeitjob bei Con Ed, daher hetzte sie ständig von einem Ort zum anderen wie eine Wahnsinnige. Nach dem Leben in der Hütte wurde ihr auf einmal klar, wie sehr sie fließendes Wasser, regelbare Kühlschränke, Leselampen und Thermostaten schätzte.
Er wußte, daß es egoistisch von ihm war, sie so im Stich zu lassen. Aber sie hatten es diskutiert, und er hatte ihren Segen – schließlich sollte jeder sein eigenes Leben leben. Und es war ja auch nicht so, daß sie einander nicht mehr sahen – sie besuchte ihn, wann immer es ging, auch wenn sie nur für ein paar Stunden kam, um in der großen Kajüte für ihre Prüfungen zu lernen oder sich neben ihn zu legen und die Augen zu schließen, während der Fluß die Koje sanft schaukelte. Außerdem würde sie ihn bald ganz zurückbekommen – den Winter über jedenfalls. Es war Mitte November, und dies war die letzte Fahrt der Arcadia für dieses Jahr. Danach würde er bis zum April zu Hause sein, vormittags in den pelzgefütterten Pantoffeln seines Großvaters herumschlurfen und ihr eine Portion Tofu-Karotten-Spezial auf dem Elektroherd zaubern, wenn sie abends nach Hause kam. Natürlich wäre Tom mit Vergnügen auch im Winter auf dem Fluß geblieben, hätte im Wasserfaß das Eis aufgehackt und zum Aufwärmen mit den
Weitere Kostenlose Bücher