Worldshaker
… zwei riesige Augen, die ihn unter dem Bett hervor anstarrten. Damals hatte er noch nicht einmal gewusst, dass Dreckige auch sprechen können. Das war erst ein paar Wochen her – und doch erschien es ihm jetzt schon selbstverständlich.
Er war so in Gedanken versunken, dass er kaum mitbekommen hatte, wie die Minuten verstrichen. Aber jetzt bemerkte er, dass das Seil vibrierte. Er eilte zur Luke, um nachzusehen.
Ja, das Seil war stramm vom Gewicht eines Kletterers. Sie war auf dem Weg nach oben! Er stand an der Öffnung und wartete, dass ihr Kopf in der Luke erscheinen würde.
Dann kam eine andere Erinnerung, die eine Erinnerung, um die er instinktiv einen weiten Bogen gemacht hatte, selbst in seinen Tagträumen … wie er an dieser Stelle neben der offenen Luke gestanden hatte und sie ihm die Arme um den Hals gelegt und ihn geküsst hatte.
So eigenartig, so vertraut … der Druck ihrer Lippen, das Gefühl, wie sie sich öffneten und mit den seinen verschmolzen. Wie Atem sich mit Atem mischte. Die Erinnerung schwappte über ihm zusammen.
Und wenn er den Druck ihrer Lippen nun ein wenig erwidert hätte? Wie weit konnte dieser zarte Schmelz gehen? Bei diesem Gedanken war sein Innerstes in völligem Aufruhr.
Das Seil vibrierte immer stärker. Sie musste schon recht nahe bei ihm sein. Was die klettern konnte! Ob es irgendetwas gab, worin sie nicht gut war?
Er beugte sich vor, um ihr einen Arm entgegenzustrecken und ihr beim Aussteigen zu helfen … beide Arme … Und dann würde er sagen …
Aber sie war viel zu schnell für ihn. Eben noch sah er sie um die Krümmung kommen, blond-schwarzes Haar, nackte Schultern und sehnige Arme, die wie Kolben arbeiteten. Im nächsten Moment hatte sie schon ihre Hände auf den Rand der Öffnung gelegt und sprang heraus. Sie landete mühelos auf der anderen Seite der Schütte.
Er blinzelte. Ihre Wangen waren voller Ruß, und auch Nase und Kinn zierten schwarze Flecken. Dafür blitzten ihre Zähne umso weißer, und ihre Augen funkelten wie Diamanten.
»Du bist –« Er hatte so lange den Atem angehalten, dass er seine Worte beim Luftholen verschluckte.
»Was?«
Alles, was er tun konnte, war, dumm dazustehen und zu grinsen. Die richtige Riff war besser als jeder Tagtraum.
»Lass uns hier verschwinden«, zischte sie und lief los.
Er wollte ihr folgen, da fiel ihm das Seil ein. »Moment.«
Anstatt zu warten, verschwand sie im Dunkel. Col löste das Seil, immer noch völlig euphorisch. Da er keine Zeit hatte, es wieder aufzuwickeln, warf er es die Schütte hinunter und verschloss die Luke.
Als er Riff schließlich einholte, war Tür 17 bereits in Sicht. Sie hatte sich den Weg gemerkt.
»Ich hab’s gemacht«, sagte er. »Ich habe mein Versprechen gehalten.«
»Ja. Aber du hast dir ganz schön Zeit gelassen.«
Er blinzelte. Warum war sie so kalt und unfreundlich?
»Vorher ging es nicht. Meine Familie –«
»Mach einfach die Tür auf.«
Dankbarkeit hatte er erwartet und dass sie genauso froh sein würde, ihn zu sehen, wie er es war, sie zu sehen. Es lief alles überhaupt nicht so, wie er es sich gedacht hatte. Er kam sich ungeschickt vor und war völlig durcheinander.
Ohne groß zu prüfen, ob die Luft rein war, ging er zur Tür und drehte die Rädchen auf die Ziffern 4-9-2. Er hatte die Tür kaum geöffnet, da war Riff schon durch.
Und wieder ging sie zügig voran. Als Col sie schließlich einholte, stand sie oben auf der Treppe und musterte die Vorräte und die spärlich beleuchteten Gänge von Deck 1.
»Hier trennen sich unsere Wege«, sagte sie.
»Was? Nein. Kommst du nicht mit mir?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Wichtigeres zu tun.«
Col konnte es einfach nicht fassen. Kaum war sie in sein Leben zurückgekommen, da haute sie auch schon wieder ab. Ihm fiel wieder ein, warum er sie ursprünglich von Unten hochgeholt hatte.
»Ich möchte, dass du mir hilfst.«
»Oh.«
»Ich möchte, dass du mit mir übst, damit ich so kämpfen lerne wie du.«
»Unmöglich.«
»Warum?«
»Du kommst von den Oberdecks. Zu steif und zu langsam.«
»Ich kann es lernen. Ich kann besser werden.«
»Ich habe keine Zeit.«
»Du schuldest mir was?«
»Hä?«
»Ich habe dich gerade von Unten hochgeholt.«
»Ha! Das war, weil du mir was schuldig warst.« Sie runzelte die Stirn. »Oder hast du das vielleicht nur deshalb getan, damit ich dir helfe?«
Col konnte lediglich zurückstarren. Warum war sie so unfair? Warum wollte sie ihn nicht verstehen?
»Wir sehen uns«,
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