Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik
juristischen Kollegs. Vielmehr hörte er medizinische, chemische und staatsrechtliche Vorlesungen und versuchte sich körperlich abzuhärten. Entscheidend war die Begegnung mit Johann Gottfried Herder, der sich zu jener Zeit krankheitsbedingt in Straßburg aufhielt. Goethe begann, alte Volkslieder für Herders Sammlung aufzuzeichnen, griff den volksliedhaften Ton aber auch in eigenen Gedichten auf. Eine wichtige Inspirationsquelle war die Liebe zur Sesenheimer Pfarrerstochter Friederike Brion, eine Beziehung, die jedoch nach der Promotion Goethes im August 1771 abrupt endete. Zurück in Frankfurt eröffnete Goethe mit Unterstützung des Vaters eine Anwaltspraxis, aber auch hier war sein Interesse an der juristischen Tätigkeit nur mäßig, wie die relativ geringe Zahl von 28 Prozessen bis 1774 zeigt. Wichtiger waren ihm seine literarischen Ambitionen: So feierte er gemeinsam mit Freunden enthusiastisch sein großes Vorbild Shakespeare und verkündete programmatisch den Bruch mit dem Rokokotheater und dem reglementierten Drama der Franzosen und ihrer Nachahmer. In wenigen Wochen schrieb er dann den »Ur-Götz«, den er aber nach der Kritik Herders grundlegend überarbeitete. Diese 1773 erschienene zweite Fassung, die Goethe unter dem Titel »Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand« veröffentlichte, sollte ihn schließlich berühmt machen.
Durch Johann Heinrich Merck, den Herausgeber der »Frankfurter Gelehrten Anzeigen«, bekam Goethe die Möglichkeit, gemeinsam mit Schlosser, Herder und anderen in zahlreichen Rezensionen den literarisch-ästhetischen Standpunkt der »jungen Generation« darzulegen. Während eines Praktikums am Wetzlarer Reichskammergericht im Sommer 1772 lernte Goethe Charlotte Buff und ihren Verlobten Johann Christian Kestner kennen; der mit Pindar- und Homerlektüre ausgefüllte Aufenthalt und die häufigen Treffen mit dem Paar endeten aber abrupt, als die »leidenschaftlicher als billig« gewordene Neigung zu der jungen Frau den Dichter zur vorzeitigen Abreise veranlasste. Eineinhalb Jahre später verarbeitete er das Lotte-Erlebnis sowie den Selbstmord seines Wetzlarer Bekannten Karl Wilhelm Jerusalem in dem Briefroman »Die Leiden des jungen Werthers«. Der außergewöhnliche Erfolg des Werks, das in kurzer Zeit mehrere Auflagen und Nachdrucke erlebte, das übersetzt, nachgeahmt und parodiert wurde und eine regelrechte »Werther-Mode« auslöste, erklärt sich daraus, dass der empfindsame Werther vollkommen das Lebensgefühl der »von unbefriedigten Leidenschaften gepeinigten« Generation der »Stürmer und Dränger« verkörperte. Weitere Werke dieser literarisch produktiven Jahre waren neben Gedichten wie »Wanderers Sturmlied« und »An Schwager Kronos« die Dramen »Clavigo« und »Stella«, die Singspiele »Erwin und Elmire« und »Claudine von Villa Bella«, eine Reihe von Farcen und Fastnachtspielen sowie zwei religionskritische Schriften, die Goethe in Kontakt mit Johann Kaspar Lavater, dem Begründer der physiognomischen Studien, brachten. Zahlreiche Schriftsteller und Geistesgrößen verkehrten in dieser Zeit mit dem zum inoffiziellen Haupt des Sturm und Drang aufgestiegenen Goethe. Im Spätherbst des Jahres 1774 besuchte ihn der Weimarer Kammerherr Carl Ludwig von Knebel, der die Prinzen Karl August und Konstantin als Erzieher auf ihrer Kavalierstour nach Paris begleitete – eine Begegnung, die die Weichen für das weitere Leben Goethes stellen sollte. In dieser Zeit lernte er auch die Bankierstochter Anna Elisabeth (»Lili«) Schönemann kennen, mit der er sich um Ostern 1775 verlobte. Kurze Zeit später reiste Goethe in die Schweiz – diese Reise sollte auch dem Zweck dienen, die doch etwas unsichere Beziehung auf die Probe zu stellen. In beiderseitigem Einvernehmen wurde die Verlobung schließlich noch Oktober desselben Jahres gelöst. Gleichzeitig erhielt Goethe die Einladung Karl Augusts nach Weimar. Gegen den Willen seines Vaters, der die Hofexistenz für den Bürger einer Freien Reichsstadt als unwürdig empfand, nahm Goethe an und traf am 7. November 1775 in Weimar ein.
GOETHE IN WEIMAR
Die Gründe, warum Goethe von dem seit September 1775 regierenden Karl August nach Weimar eingeladen wurde, dürften zum einen in persönlicher Sympathie, zum anderen in den praktisch-politischen Ideen des jungen Dichters gelegen haben, die bei der ersten Begegnung – im Gespräch über Justus Mösers »Patriotische Phantasien« – offenbar geworden waren. Der Herzog wollte Goethe
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