Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
epochalen Romanen »Schuld und Sühne« und »Die Brüder Karamasow«.
Der große Erfolg des Romans »Schuld und Sühne« veranlasste die Gläubiger Dostojewskijs, von neuem die Erfüllung ihrer Forderungen zu verlangen. Dostojewskij war zwei Monate nach der Trauung, im April 1867, genötigt, Russland wieder zu verlassen. Es folgten vier Jahre erzwungenen Auslandsaufenthaltes, in denen Dostojewskij unter bedrückenden finanziellen, gesundheitlichen und seelischen Verhältnissen in Dresden, Baden-Baden, Basel, Genf, Vevey, Mailand und Florenz lebte. In dieser schwierigen Zeit entstanden zwei große Romane.
Als Dostojewskij seinen Roman »Der Idiot« vollendet hatte, traf ihn im November 1869 eine Nachricht aus Russland, die ihn tief erschütterte. In Moskau hatte ein revolutionärer Zirkel auf Befehl ihres Führers eines seiner Mitglieder ermordet – angeblich, weil dieses die Gruppe hatte verraten wollen. In Wirklichkeit war das Hauptmotiv für den Führer der Gruppe aber, dass er diese durch das Verbrechen zusammenschweißen und unbedingten Gehorsam erzwingen wollte. Dostojewskij spürte mit Entsetzen, dass hier Wege zu Ende gegangen wurden, die er früher einmal selbst beschritten hatte. Indem er den Fall aus der politischen Kriminalistik der unmittelbaren Gegenwart in einen großen geschichtlichen und philosophischen Deutungszusammenhang stellte, schuf er in dem Roman »Die Dämonen« ein Werk, das Albert Camus später zu den fünf größten der Weltliteratur zählen würde.
Nach mehr als vierjährigem Auslandsaufenthalt kehrte Dostojewskij am 20. Juli 1871 (8. Juli 1871) nach Russland zurück. Dank seiner unermüdlichen schriftstellerischen Energie und seiner Frau verlief das folgende Jahrzehnt, äußerlich gesehen, in ruhigeren Bahnen. Er bezahlte allmählich seine Schulden ab. Durch seine publizistische Tätigkeit, gesammelt unter dem Titel »Tagebuch eines Schriftstellers«, hatte er keine großartigen, aber doch regelmäßige Einnahmen. Es folgten noch zwei große Romane: »Der Jüngling«, veröffentlicht 1875, und »Die Brüder Karamasow«, ausgearbeitet in den Jahren 1878 bis 1880. »Der Jüngling«, eine Art Erziehungsroman, wurde in Russland nicht mit solchem Interesse und solcher Zustimmung aufgenommen wie die anderen vier Romane Dostojewskijs. Dagegen fand sein letzter Roman, »Die Brüder Karamasow«, von Anfang an lebhaftestes Interesse und bis heute höchste Anerkennung als einer der großartigsten Romane der Weltliteratur.
»Die Brüder Karamasow« sind das letzte Wort Dostojewskijs – sein letztes, zusammenfassendes Wort über die großen Themen seines Lebens: über den Menschen, was er ist, wie er sein soll und wie er nicht sein soll; über die Versuchung des Verstandes, wenn er nicht gebunden ist an die Mächte, von denen Herz und Gewissen zeugen; über die Schuld, in die wir alle verstrickt sind, und die Möglichkeit, sie zu überwinden; über die Notwendigkeit und ebenso über die Grenzen irdischer Justiz; über die besondere Gefährdung des Menschen in dieser Zeit und im Besonderen in seiner Heimat Russland; über die Zukunft der Menschheit: über die Frage, ob der Geist Christi in ihr leben oder der Geist des Großinquisitors über sie herrschen wird; über die Frage, die Dostojewskij sein Leben lang gequält hat – die Frage nach der Existenz Gottes, nach Tod und Unsterblichkeit.
DOSTOJEWSKIJ UND DIE »REVOLUZZER«
Zu Dostojewskijs Lebzeiten erlebten revolutionäre Strömungen in Russland eine Blüte. Zu ihnen zählten die »Nihilisten«, ein Begriff, der 1862 durch Iwan Turgenjews Werk »Väter und Söhne« bekannt wurde.
Als Nihilisten bezeichnet Turgenjew eine zentrale Romanfigur, den Literaturkritiker Basarow, der sowohl dem Glauben als auch der Autorität gegenüber feindselig eingestellt ist und deshalb Staat, Gesellschaft und Familie zerstören will. Der Philosoph Dmitrij Pissarew verwendete den Begriff häufig in seinen Schriften und wurde so zu einem der wichtigsten Verfechter nihilistischer Ideen. Seine revolutionären Anhänger traten gegen Religion, Kunst und Philosophie ein und waren sogar bereit, bei Attentaten ihr Leben zu opfern. Bei einem dieser Anschläge starb Zar Alexander II. Die Nihilisten wurden mit der Zeit immer radikaler und bezeichneten die totale Zerstörung als ihr Ideal. Um die Menschheit zu befreien, forderten sie die Verarmung des Einzelnen. In »Die Dämonen« und »Die Brüder Karamasow« machte sich Dostojewskij über die intoleranten,
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