Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
zurückzuführen, also auf biologische Erbanlagen und diverse Umwelteinflüsse. Die damit verbundene Festlegung des Menschen solle der Romancier auf die Protagonisten seiner Geschichten übertragen.
Zu dieser Zeit begann Zola mit Zeitungsartikeln und Kunstkritiken seine journalistische Laufbahn. Gleichzeitig, nämlich 1865, nahm er die Beziehung zu den Brüdern Edmond und Jules de Goncourt auf. Insbesondere deren gerade veröffentlichter Skandalroman »Germinie Lacerteux«, eine schonungslose Schilderung des sozialen und psychischen Abstiegs eines Dienstmädchens, erweckte Zolas Interesse. Die Literarisierung des Abstoßenden und der Unterschichten sowie die detaillierte und minutiöse Dokumentation der Wirklichkeit sollten sich auch in seinen Texten wiederfinden. Im selben Jahr besuchte Zola den großen realistischen Maler Gustave Courbet, las Claude Bernards soeben publizierte »Einführung in das Studium der experimentellen Medizin« sowie Hippolyte Taines »Philosophie der Kunst« – alles Erfahrungen und Impulse, die sein eigenes Schaffen endgültig zum Naturalismus hinlenkten.
Ende Januar 1866 schied Zola aus dem Verlag Hachette aus. Ab jetzt wollte er ausschließlich als freier Schriftsteller seinen Lebensunterhalt verdienen. Er stellte erste Kontakte zur Zeitschrift »Figaro« und zu deren Herausgeber Hippolyte de Villemessant her, der das journalistische Handwerk meisterhaft beherrschte und viel davon an den jungen Schriftsteller weitergab. Im »Figaro« wurde auch sogleich Zolas Erzählung »Eine Liebesheirat« abgedruckt.
Im selben Jahr traf Zola erstmals mit dem Maler Édouard Manet zusammen, dessen umstrittenen, in vielen Zügen schon den Impressionismus vorbereitenden Stil er zeitlebens vehement gegen Kritiker verteidigte. 1866 porträtierte Manet seinen Parteigänger in einem Gemälde, das sich heute im Pariser Musée d’Orsay befindet und das in seiner Gestaltung die Verbundenheit der beiden Künstler verdeutlicht. Ein Jahr später, 1867, gab Zola den Roman »Thérèse Raquin« heraus, mit dem er den entscheidenden Schritt zum Naturalismus vollzog.
»DIE ROUGON-MACQUART«
Zola war ein eifriger Propagandist seines eigenen Werks. Das damit verbundene Selbstwertgefühl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm Vorwürfe seitens der Kritik unter die Haut gingen – Unmoral und Pornografie waren die verbreitetsten und der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche ereiferte sich gar über »Zola oder die Freude zu stinken«. Die Angriffe häuften sich, nachdem Zola seinem Verleger Albert Lacroix 1869 das Exposé für einen neuen Romanzyklus vorgelegt hatte, der zunächst auf zehn, später auf 20 Bände konzipiert wurde. Titel des Projekts: »Die Rougon-Macquart«. Das literarische Kolossalgemälde sollte mit »Die menschliche Komödie« von Honoré de Balzac konkurrieren, der seit 1829 in diesem groß angelegten Erzählwerk die wissenschaftlichen, weltanschaulichen und ästhetischen Grundlagen zu einem umfassenden Gesellschaftsbild Frankreichs entwickelte. Über fünf Generationen hinweg werden in dem Werk Zolas die Lebenswege der Nachkommen der Familien Rougon, Macquart und Mouret erzählt. Schauplatz und Zeit wechseln mit jedem Band. Die gesamte Familiengeschichte ist die ungeschminkte Dokumentation eines Verfalls, der parallel zum Niedergang der Gesellschaftsordnung verläuft. Der erste Band, »Das Glück der Familie Rougon«, erschien 1870 in Buchform. Das Vorwort umreißt das Gesamtprogramm: Der Zyklus zeige »das langsame Vererben von Nerven- und Blutsübeln, die in einem Geschlecht als Folge eines ersten organischen Schadens zutage treten«. Mit wissenschaftlicher Genauigkeit zeichnet der Autor die Vorgänge und das Milieu, unterzieht sie soziologischen und physiologischen Versuchsanordnungen, die er mithilfe einer Art Montagetechnik zu einer Einheit zusammenführt. Der wohl berühmteste Roman dieser Serie ist »Nana«, der 1880 in zwei Bänden erschien und wovon bereits am ersten Tag 55 000 Exemplare verkauft wurden. Die Titelheldin, eine Prostituierte, war bereits aus einem früheren Werk Zolas bekannt, sodass Manet sie in seinem berühmten, gleichnamigen Gemälde von 1877 malen konnte: die Kurtisane bei der Toilette, provokant aus dem Bild herausblickend. Fast ebenso erfolgreich wie »Nana« wurde der 13. Band des Zyklus, der Roman »Germinal«, ein gewaltiges und gewalttätiges Bergarbeiter-Epos, in dem Zola naturalistische und mythologische Elemente vermischt. Nach dem Bankrott seines
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