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Worte bewegen die Welt

Worte bewegen die Welt

Titel: Worte bewegen die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brockhaus
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Jedenfalls schickte der Verbannte die Texte in regelmäßigen Abständen nach Rom, wo sie von seinen Vertrauten, dem Wunsch des Dichters entsprechend, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
    FAKT UND FIKTION
    In der philologischen und historischen Forschung wird über die Exildichtung des Ovid heftig diskutiert. Anstoß hat man vor allem an der Art und Weise genommen, wie der Dichter seinen Verbannungsort am Schwarzen Meer beschrieben hat. Tatsächlich entsprechen seine Schilderungen von der unwirtlichen Landschaft, dem rauen Klima und den barbarischen Bewohnern nicht den wirklichen Verhältnissen. Tomi lag zwar an der Peripherie des griechisch-römischen Kulturkreises – das zivilisatorische Niveau der Region war aber, nicht zuletzt wegen ihrer Funktion als Umschlagplatz für den Getreidehandel, wesentlich höher, als es Ovid in seinen Texten zuzugeben bereit ist. Ebenso stimmt das bei ihm stets wiederkehrende Motiv der ungünstigen klimatischen Bedingungen nicht mit dem überein, was andere Quellen in dieser Hinsicht aussagen.
    Wegen solcher Widersprüche ist in der jüngsten Ovid-Forschung sogar die extreme Position vertreten worden, der Dichter sei überhaupt nicht im Exil gewesen, sein dortiger Aufenthalt sei eine pure Erfindung. Diese Interpretation geht sicherlich zu weit. Zutreffend ist aber, dass Ovid den ihm aufgezwungenen Aufenthalt in der Fremde dazu genutzt hat, sich unter veränderten persönlichen Lebensbedingungen ein literarisches Denkmal zu setzen. Auffallend ist dabei, dass hinter der Pose des Dichters, dem man so übel mitgespielt hat und der, getrennt von seinem verwöhnten Publikum der Stadt Rom, unter wilden Barbaren sein Dasein zu fristen hat, auch immer wieder der »frühe« Ovid aufblitzt. Sind es in der Liebeslyrik der ersten Schaffensperiode die Pfeile des Liebesgottes Amor gewesen, die das literarische Ich des Dichters trafen, so waren es nun die Waffen der Barbaren.
    EXILSCHRIFTEN
    Von dem Witz und dem Esprit, die die Werke des frühen und auch des mittleren Ovid auszeichneten, ist in den Schriften aus dem Exil zumindest vordergründig nichts mehr zu spüren. Sie sind eine schier endlose Litanei des Klagens, des Jammerns, des Haderns mit dem eigenen Schicksal. In den düstersten Farben malt Ovid die Landschaft, in die ihn der Bannstrahl des Kaisers versetzt hat: »Mich hält ein Land, das versengt wird von dem härtesten Frost. Nordwärts bleiben noch Bosporus, Don und die skythischen Sümpfe, wenige Namen dann noch, Orte, die kaum noch bekannt. Darüber hinaus ist nichts als unbewohnbare Kälte. Wie nahe ist mir doch das Ende der Welt.«
    An einer anderen Stelle heißt es: »Äußerstes dulde ich jetzt, inmitten von Feinden, und kein Verbannter ist je weiter von zu Hause entfernt. Einsam, verschickt an die Mündung der siebenarmigen Donau, wird mir des Wagengestirns eisige Achse zur Pein: Kolcher, Kizyger, auch tereteische Scharen und Geten hält mir die Donau kaum durch ihr Gewässer vom Leib. Andere wurden von dir«, wendet er sich direkt an den Kaiser, »aus schwereren Gründen vertrieben, weiter hinweg wurde noch nie einer verstoßen als ich.«
    TOD IN TOMI
    Mag es sich also bei der Exildichtung Ovids weniger um eine authentische autobiografische Darstellung handeln als vielmehr um eine neue Dimension in seinem künstlerischen Schaffen, so war das Exil ohne Zweifel ein Zustand, auf dessen Beendigung Ovid energisch hinarbeitete. Nicht ohne Grund hatte er den Wunsch seiner dritten Ehefrau, ihn in die Verbannung zu begleiten, abgelehnt. Sie sollte in Rom bleiben und dort in den politisch einflussreichen Kreisen für eine Begnadigung werben. Die Briefe vom Schwarzen Meer sind voller versteckter oder offener Aufforderungen an den Kaiser, ihm endlich die Rückkehr nach Italien zu erlauben. Augustus aber ließ sich nicht erweichen. Offenbar war das Delikt, dessen sich Ovid schuldig gemacht hatte, so schwerwiegend, dass der ansonsten eher milde gestimmte Kaiser hart blieb. Gleichwohl konnte er nicht verhindern, dass die Gedichte des verbannten Dichters in der Hauptstadt gelesen wurden und seinen Ruf als eines großen, gerechten Herrschers beeinträchtigten. Augustus starb im Jahr 14 n. Chr. Die Hoffnungen, die Ovid in dessen Nachfolger Tiberius setzte, erfüllten sich nicht. Auch der neue Kaiser machte keine Anstalten, den Dichter aus seinem Exil zu befreien. So starb Ovid, der gefeierte Hauptstadtdichter, 17 n. Chr., nach neun Jahren erzwungener Abwesenheit von der Heimat im

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