Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
oder gar in die Fernsehnachrichten.
Und bei einem Mordopfer afrikanischer Abstammung mussten natürlich die Alarmglocken
schrillen.
Vor ein paar Jahren verweigerten die Türsteher
einer Disco des öfteren selbst prominenten schwarzen Spielern des ›FC-Energie‹ den
Zutritt, obwohl es nach jedem solchen Vorkommnis wütende Kommentare in den Zeitungen
gab. Und trotz aller polizeilichen Maßnahmen war es erst kürzlich gelungen, die
gewaltbereiten Jugendlichen vom Stadthallenvorplatz fernzuhalten. Vage erinnerte
er sich an eine Gruppe ›PRO‹, die den Mitgliedern der ›Mind Watchers‹, einer Sekte,
die eine Rückbesinnung auf ein menschliches Wertesystem forderte, Schwierigkeiten
gemacht hatte.
Hier sollten sie ansetzen, bis sie brauchbare
Informationen über das Opfer hatten, überlegte er weiter. Während er wie gebannt
die Praxisfenster anstarrte, lief seine Vorstellungskraft zur Hochform auf.
Er malte sich aus, wie jemand im Gebüsch
lauerte. Angespannt. Den Griff eines Schwertes fest umklammert. Der Wartende lauschte
auf jeden Schritt, der sich näherte, hielt das Schwert erhoben, damit er ohne Verzögerung
zuschlagen konnte und sich die Waffe beim plötzlichen Hochreißen nicht in den Zweigen
verfing. Schwitzte er? Oder war es eine ganz unemotionale Angelegenheit? Der Entschluss
eines Einzeltäters, der etwas Großes vollbringen wollte, oder geschah der Mord auf
Druck einer Gruppe, die von einem ihrer Mitglieder einen Tauglichkeitsbeweis forderte?
Hatte der Mann, der dort im Dunkel kauerte, Angst? Oder war er kaltblütig, berechnend?
Hätte er auch gemordet, wenn eine weiße Frau vorbeigekommen wäre? Nachtigalls Überlegungen
beschäftigten sich nun mit dem Opfer. Vielleicht hatte die junge Frau eine Verabredung,
ihre Stimmung war gut, ihr Schritt leicht und beschwingt. Denkbar, dass der Täter
besonders gerne ein fröhliches Opfer tötete, weil seine eigene Welt gerade unterging
und versank. Es konnte sich schlicht um jemanden handeln, den eine Lebenskrise aus
der Bahn geworfen hatte, der sich auf diese Weise an glücklichen Menschen rächte.
Das Unbehagen, das sich in Nachtigall ausbreitete,
ließ ihn einen aufmerksamen Blick in die Runde werfen. Ein Rascheln hinter einem
Müllcontainer verstärkte das Gefühl einer unbestimmten Gefahr, und er bekam eine
Gänsehaut.
Schluss, befahl er seiner Fantasie, nun
ist es gut! All seine Überlegungen, war ihm bewusst, kamen zu früh. Noch wussten
sie zu wenig, viel zu wenig.
Endlich! Die Lichter wurden gelöscht.
Er schob alle Gedanken an die ermordete
junge Frau so gut es ging beiseite, um Platz für einen entspannten Abend zu schaffen.
Nachtigall chauffierte seine Conny zu ihrem
Lieblings-Inder in Sandow.
Es wurde Zeit, ihre Beziehung endlich auf
eine neue, tragfähige Basis zu stellen.
Heute, nahm er sich fest vor, heute würde
er sie fragen.
8
»Guten Morgen!« Nachtigall und Skorubski betraten das Büro,
in dem Michael Wiener bereits ungeduldig auf sie wartete.
»Gute’ Morge’! Ich glaub, wir könne’ das
Opfer identifiziere’. Es ist gerade eine Vermisstenmeldung reingekomme’, die zu
der jungen Frau passt«, berichtete er so aufgeregt, dass seine Fönfrisur bei jedem
Wort mitschwang.
Wie Nachtigall selbst, trug auch das jüngste
Teammitglied stets Schwarz. Wiener jedoch war schlank und hatte sich gegen einen
Zopf und für eine modische Frisur entschieden. Albrecht Skorubski, der als Einziger
des Ermittlertrios von nur mittlerer Größe war, hatte sich auf Schlamm und Khaki
festgelegt. Immer noch viel besser als die grellbunten Hawaiihemden, die er früher
so gerne getragen hatte, fand Nachtigall. Selbst das Basecap, mit dem Albrecht seine
Glatze verbarg, passte farblich perfekt.
»Aha. Wer ist es?« Nachtigall bemerkte seinen
unfreundlichen Ton und räusperte sich. Die Kollegen sollten nicht darunter zu leiden
haben, dass der letzte Abend sich nicht nach seinen Vorstellungen entwickelt hatte.
Der richtige Moment für seine Frage wollte sich einfach nicht einstellen!
»Claudine Caro. Studentin an der BTU, wohnt
im Studentenwohnheim auf dem Campus. Ihre Tante erwartete gestern am späten Abend
ihren Anruf. Als sie sich nicht meldete, machte sie sich Sorgen, versuchte mehrfach
vergeblich, ihre Nichte zu erreichen. Sonst sei die Tochter ihrer Schwester immer
ausgesprochen zuverlässig, gab sie auf der Wache an. Als sie auch heute Morgen nichts
von ihr hörte, fuhr sie bei ihr vorbei, fand das Zimmer leer und das Bett
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