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Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)

Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)

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Autoren: Franziska Steinhauer
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sofort zu Boden gestürzt sein. An Flucht war nicht zu
denken«, erklärte Dr. Pankratz und drehte mithilfe des Kollegen den Körper wieder
auf den Rücken.
    Nachtigall spürte ein unangenehmes Prickeln,
das sich über seinen Rücken in Richtung Nacken ausbreitete.
    »Er hat dafür gesorgt, dass sie wehrlos
war. Völlig ausgeliefert. Warum hat sie nicht geschrien?«
    »Schock vielleicht. Oder sie kam nicht mehr
dazu.« Dr. Pankratz warf dem Hauptkommissar einen raschen Blick zu.
    »Vielleicht glaubte sie auch, es käme ihr
ohnehin niemand zu Hilfe. Oder im Zweifelsfall kommen die Freunde des Täters«, steuerte
Jens Schubert bei.
    »Leichenflecken finden sich verblasst im
Brust- und Beckenbereich und an den Knien, deutlich dagegen im Schulterbereich,
am Gesäß und … Sie wurde also nach dem Eintritt des Todes gedreht, vermutlich, damit
der Täter die Verstümmelungen am Gesicht vornehmen konnte. Dabei hat er sich viel
Zeit gelassen, er muss sich vollkommen sicher gefühlt haben. Wenn wir davon ausgehen,
dass es ungefähr eine halbe Stunde dauert, bis sich die ersten Leichenflecke ausbilden,
bedeutet das, dass er sie erst nach Ablauf dieser Zeit umgedreht hat«, fuhr der
Rechtsmediziner unbeirrt mit seinen Ausführungen fort.
    »Vielleicht hatte er etwas vergessen und
kehrte deshalb später an den Tatort zurück.« Michael Wiener trat näher an den Sektionstisch
heran.
    »Möglich. Damit wäre er aber ein ziemlich
hohes Risiko eingegangen.«
    »Vielleicht stand er unter Schock«, grübelte
Nachtigall. »Er wollte es tun, doch als es so weit war, sah er sich außerstande.
Er wartete, bis er sich etwas beruhigt hatte, und führte die Amputationen aus, als
die Hände nicht mehr zitterten.«
    »Viele Mörder geraten nach einem solchen
Überfall erst einmal aus dem Gleichgewicht, Vorstellung und Realität driften überraschend
weit auseinander, alles ist plötzlich voller Blut, es riecht nach Tod, und manche
Täter scheuen auch davor zurück, eine Leiche zu berühren. Alles denkbar.« Dr. Pankratz
untersuchte die Augenhöhlen aufmerksam. »Die Augen wurden mit einer kurzen, glatten
Klinge entfernt. Es sind nur exakte Schnittflächen zu sehen, keine Ausfransungen.
Also kein kleinzahniger Wellenschliff. Wahrscheinlich ein Gemüsemesser oder ein
Schnitzmesser«. Er sah auf und lächelte Michael Wiener zu. »Oder ein Taschenmesser.«
    Jens Schubert sah ratlos von einem zum anderen.
    »Vor einiger Zeit hatten wir einen Täter
in der Stadt, der ein Taschenmesser verwendete«, erläuterte Nachtigall knapp, und
der Beamte des BKA verzog gereizt das Gesicht.
    Er war nicht an zurückliegenden Fällen des
Teams interessiert.
    Dr. Pankratz war inzwischen mit dem Inspizieren
der Wunde an der Nase fertig und widmete sich jetzt intensiv der Mundhöhle, leuchtete
hinein und betrachtete die Schnittstelle voller Interesse.
    »Hm, hm, hm. Ich bin mir ziemlich sicher,
dass er den Unterkiefer heruntergedrückt, die Zunge gepackt und dann in der Mundhöhle
an der Zungenwurzel abgetrennt hat. Dabei schoben sich die Zungenränder leicht nach
unten. Man sieht deutlich, dass er mehrmals ansetzen musste. Möglicherweise lag
das am Winkel, der für eine Schnittführung ungünstig war, oder er hatte nicht mit
dem Widerstand des Gewebes gerechnet. Ich denke, es war so.« Der Gerichtsmediziner
demonstrierte an einem Schwamm, den er vom Waschbecken holte, was er meinte. Dabei
drückte er den Schwamm an einer Stelle mit Daumen und Zeigefinger zusammen und deutete
danach die Schnittbewegungen an. »Sehen Sie? So!«
    »Ja – ich verstehe«, antwortete Nachtigall
unglücklich.
    »Pranken kann er nicht gehabt haben, sonst
wäre es sicher ausgesprochen schwierig für ihn gewesen, so tief in die Mundhöhle
zu greifen. Dann ließen sich auch Mikroverletzungen in der Wangenschleimhaut finden
– aber ich kann nichts entdecken.«
    Dr. Pankratz bemerkte die Ungeduld des BKA-Beamten
und drehte sich zu ihm um.
    »Treten Sie nicht von einem Fuß auf den
anderen, das stört mich! Eine Obduktion muss gründlich durchgeführt werden und dauert
eben ihre Zeit. Wenn Sie den Eindruck haben, Ihre hier zu vergeuden, können Sie
gerne auf meine Berichte warten.«
    Peter Nachtigall staunte.
    So verärgert hatte er den Gerichtsmediziner
noch nie erlebt.
    Jens Schubert zuckte mit den Achseln und
setzte eine betont gelangweilte Miene auf.
    Den Körper hielt er aber ab sofort in vollständiger
Ruhe.
    Dr. Pankratz hatte sich längst wieder dem
Opfer zugewandt. Er schob die Lampe

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