Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
davor, ausgewiesen zu werden, Angst vor denen, die sie in der Gewalt
haben. Sie wollen uns nicht verstehen – und sie wollen uns nichts erzählen.«
»Ich glaube, ich habe einiges von dem Rätsel
lösen können, aber eben noch nicht alles. Ich weiß aber, wer uns dabei helfen wird.
Wir brauchen Heide Fischer hier. Ich habe ihren persönlichen Schützer gebeten, sie
herzubringen.«
»Heide Fischer?«, fragte Albrecht Skorubski.
»Du glaubst immer noch, dass sie uns etwas Wichtiges verschweigt?«
»Ja – aber nun wird sie es uns verraten.«
Nachtigall war überzeugt. »Wir brauchen einen Dolmetscher, vielleicht verstehen
sie uns wirklich nicht. Und wo habt ihr Serafine hingesetzt?«
»Serafine war nicht unter den Geretteten.«
»Scheiße!«
»Warum ist sie so wichtig? Die sitzt bestimmt
neben ihrem Freund auf der Couch und sieht fern«, feixte Wiener.
»Nein, Bengabo ist davon überzeugt, dass
sie umgebracht wurde. Wäre sie bei ihm aufgetaucht, wüssten wir das. Frau Alvarez
wurde bei der Razzia im ›L’Amour‹ festgenommen?«
»Oh, ja. Die Kollegen hatten größere Probleme
dabei. Sie wussten nicht, um was für eine starke Frau es sich handelt, und waren
von ihrer heftigen Gegenwehr überrascht. Vier Mann waren nötig, um sie in den Streifenwagen
zu bugsieren.«
»Du glaubst, Serafine schwebt in Lebensgefahr«,
stellte Skorubski fest.
»Nun, Bengabo glaubt, sie sei schon tot.
Aber ich habe da eine andere Theorie«, Nachtigall drehte sich zu Wiener um. »Michael,
kläre doch mal, was unsere drei Studenten gerade treiben.«
»Nun, wo wir das Versteck ausgehoben haben,
könnten wir eigentlich auch Entwarnung geben, oder? Ohne Geheimversteck kein Geheimnis
mehr, keine weiteren Morde mehr«, freute sich Wiener, der fest an ein entspanntes
Wochenende zu glauben begann.
»Auf gar keinen Fall! Noch haben wir den
Mörder nicht überführt.«
»Aber wenn Frau Alvarez unsere Täterin ist,
haben wir ihn dort hinter der Tür sitzen.« Er zeigte mit dem Finger über den Gang.
»Die Spurensicherung vor Ort soll alles
nach Serafine absuchen. Überall, auch da, wo man eine Leiche verstecken würde. Ich
spreche mit Frau Alvarez. Wenn Frau Fischer kommt, setzt sie in ein Büro – aber
lasst sie nicht aus den Augen!«
Ramona Alvarez hatte deutliche Spuren der Verhaftung im
Gesicht und an den Armen.
Ihre stolze Kopfhaltung und ihr eisiger
Gesichtsausdruck wiesen jeden, der diesen Raum betrat, in seine Schranken. Auch
durch Nachtigall schien ihr Blick hindurchzudringen.
»Frau Alvarez – Sie können kooperieren oder
eben nicht. Wir finden auch ohne Ihre Hilfe heraus, wie Ihr Geschäft mit den illegal
eingereisten Frauen funktionierte. Dazu brauchen wir dann etwas länger, aber Sie
werden natürlich die ganze Zeit über unser Gast sein.«
Keine Antwort.
»Sie verbessern Ihre Situation nicht, wenn
Sie schweigen. Im Gegenteil, Ihre Mitarbeit wird sich möglicherweise eher positiv
auf das Urteil der Richter auswirken.«
»Ich will meinen Anwalt sprechen.«
»Gut, Sie können ihn anrufen. Wo ist Serafine?«
War das Erstaunen, was für einen Sekundenbruchteil
über ihr Gesicht huschte?
Nachtigall war sich nicht sicher.
»Ich will meinen Anwalt sprechen.«
»Spezialisten durchsuchen gerade Ihr Büro
nach Hinweisen auf den Handel mit Frauen. Andere werden sich des Computers annehmen
und alle Dateien und Mails auswerten. Die Frauen werden gegen Sie aussagen. Wir
finden die Hintermänner und beweisen die Verbindung nach Freiburg.«
Diesmal war er sich sicher, ein Zusammenzucken
bemerkt zu haben.
»Ich will …«
»Ja, ich weiß. Aber ich will, dass Sie wissen,
worin Ihre einzige Chance besteht. Wo ist Serafine?«
»Ich will …«
»Gut, dann nicht. Der Kollege bringt Ihnen
ein Telefon.«
71
Nachtigall versammelte sein Team, während die völlig verstörten
Haitianerinnen mit Tee und Decken versorgt wurden. Einige weinten, doch die meisten
starrten nur regungslos vor sich hin.
»Menschenhandel. Abscheulich! Widerlich
– und – ach, so viele Vokabeln habe ich gar nicht«, polterte der sonst eher unaufgeregte
Skorubski. »Diese Frauen haben sicher unvorstellbare Dinge erlebt, sie wurden so
infam betrogen, wie man es sich gar nicht vorstellen mag. Nun verstehe ich auch
den Zusammenhang mit Haiti. Und eine solche Organisation kann es sich natürlich
auch leisten, einen Profikiller zu engagieren. Da spielt Geld schon keine Rolle
mehr.«
»Ja – Geld verdient man in dem Geschäft
sicher ohne Ende«,
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