Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
nun so ein trauriger
war.
Papa Desmond hatte sehr betroffen auf die
Nachricht von Claudines Tod reagiert. Natürlich könne sie vorbeikommen, hatte er
sie eingeladen, er stünde ihr für ein Gespräch jederzeit zur Verfügung.
Madeleine Treschker war ihm dankbar dafür.
Als sie einen Blick zum Fenster warf, spiegelte die dunkle
Scheibe ihr eigenes Gesicht wider, mit weit aufgerissenen Augen, bebenden Lippen,
einer geschwollenen Nase. Sie sah schon fast wie ein Zombie aus, dachte sie und
schlug sich sofort die Hand vor den Mund. Nein, so etwas durfte man gar nicht denken!,
wies sie sich zurecht. Immer wieder rollte eine schwere Träne über ihre Wangen.
Sie wischte sie fort.
Papa Desmond wird Rat wissen, versuchte
sie sich zu beruhigen. Er war ein guter Hunsi, der ihr schon oft geholfen hatte.
Vielleicht bildete sie sich ja alles auch nur ein. Aber auch das könnte der Hunsi
heilen.
Sie setzte sich bequemer in den Sitz und
bemühte sich um eine zuversichtlichere Einstellung.
Vor ihr lagen mehr als drei Stunden Fahrt,
Zeit genug, ihre Gedanken zu sortieren.
Schon von Weitem erkannte sie die Silhouette der Domstadt.
Es fühlt sich an, wie nach Hause kommen, dachte sie, und hob ihre Tasche vom Nebensitz.
Am Bahnhof in Erfurt nahm sie ein Taxi.
Der Tempel der Société war schwer zu finden,
die Gemeinde hatte kein Interesse daran, die Aufmerksamkeit von Nachbarn auf ihr
Tun zu lenken. Deshalb hatten sie ein altes Fabrikgebäude in einem Gewerbegebiet
angemietet, angeblich um langfristig ein Jugendzentrum einzurichten, bis das so
weit war, stünden die Räume als Proberäume für Bands zur Verfügung. So wunderte
sich niemand über das Trommeln.
Nicht einmal der Wachdienst kam hier vorbei.
Papa Desmond erwartete sie bereits.
Und endlich, in dem sicheren Gefühl, unter
Gleichgesinnten Verständnis für ihre Ängste zu finden, konnte sie sich ihrer Trauer
überlassen.
Papa Desmond fragte immer wieder nach.
Ließ sich auch kleinste Details berichten.
Dann verkündete er, es sei notwendig, noch
in dieser Nacht mit Gédé in Kontakt zu treten, dem Gott des Übergangs und des Scheidewegs.
Nur Gédé wüsste, was mit Claudine geschehen sei, wo ihre Seele sich aufhalte.
Eine Stunde später hatte sich die Société
versammelt.
Viele Gläubige brachten Speisen für Gédé
mit, andere Rum. Vier kräftige Musiker hatten hinter ihren Trommeln Platz genommen,
und die Zeremonie konnte beginnen. Papa Desmond führte die Gemeinde in den Altarraum,
den Bagui, tanzte hüpfend im Takt der Instrumente vor ihnen her. In der Hand hielt
er dabei einen ›Zeiger‹, einen selbst gefertigten Stock, der bunt bemalt und mit
Federn geschmückt war. Er selbst trug einen hohen Zylinder und schwarze Kleidung.
Leise murmelte er Beschwörungsformeln vor sich hin, versammelte die kleine Gruppe
in der Mitte des Raumes, in der ein provisorischer Poteau-mitan errichtet worden
war. Papa Desmond umkreiste die Säule, die das Reich der Lebenden mit dem der Toten
verband, verneigte sich dann vor dem Altar, der mit einer Unmenge heiliger Gegenstände
und Requisiten geschmückt war. Ein echter Totenkopf , Knochen von Opfertieren, ein
mumifizierter Hühnerkopf, Flaschen und Tiegel mit geheimnisvollen Zutaten oder Opfergaben,
Kräuter und Blumen, eine brennende Kerze, eine Sichel, ein Holzkreuz und vieles
mehr. Der Trommelwirbel nahm Geschwindigkeit auf. Mit klarer Stimme nannte der Priester
die rituellen Namen der Instrumente, legte ein Bild mit dem Zeichen Gédés vor der
Säule ab, hielt die mitgebrachten Opfergaben in alle vier Himmelsrichtungen, verfuhr
mit dem Rum ebenso. Gédé sollte sehen, was für ihn vorbereitet worden war. Ein Tieropfer,
versprach er dem mächtigen Loa, sei auch unterwegs, habe sich aber verspätet.
Dann begann er mit der Anrufung.
Der dumpfe Takt sorgte für Gleichklang aller
Bewegungen der Gläubigen. Auf ein Zeichen des Priesters hin steigerte sich der Rhythmus
wieder. Er selbst begann, Steine aneinander zu schlagen. Schwindelerregend schnell
bewegten sich die Körper. Eine Frau begann wild zu zucken, wälzte sich auf dem kalten
Boden umher. Im diffusen, unruhigen Licht der Kerzen wirkten die entrückt Tanzenden
unwirklich, der Geist begann sich bei aktiven wie eher passiven Teilnehmern des
Rituals vom Körper zu lösen, driftete in ein fernes Reich voller Hoffnung und Geheimnis.
Farben und Klänge mischten sich zu einem Strom von Eindrücken, die Menschen ließen
sich fortreißen.
Rum floss in
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