Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
gesagt wie dir. Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Täter aus diesem
Dunstkreis stamme’ könnte. Aber ich fürcht’, das war nicht das, was er höre’ wollt’.
Und Emile ist bei einer Pressekonferenz im Fall Sylvia. Du weißt scho’, dieses kleine
Mädchen, das entführt wurde. Sie plane’ eine proaktive Intervention. Er kann erst
morge’ wieder bei uns mitarbeite’.«
»Dr. März und Jens Schubert. Wir wissen
kaum etwas über das Opfer, Motiv haben wir noch gar keines, und die beiden haben
eine interne Beratung. Mann – hoffentlich wenden die beiden sich nicht zu früh an
die Presse.«
Peter Nachtigall stierte von bösen Vorahnungen
geplagt in die Dunkelheit hinaus.
15
Heide Fischer konnte ihren Blick nicht von dem Foto auf
der Titelseite der ›Lausitzer Rundschau‹ losreißen. Ihre Augen brannten. Das konnte
doch nicht wahr sein! Ihre Claudine! Ermordet!
»Deine schlimmsten Befürchtungen sind wohl
doch wahr geworden«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme und wischte sich
mit dem Handrücken unter der Nase entlang. »Und was soll ich jetzt tun? Der Polizei
alles erzählen? Mein Gott – die Geschichte glaubt mir doch keiner. Einsperren werden
die mich! In die Psychiatrie zwangseinweisen!«
Unruhig tigerte sie in ihrem kleinen Wohnzimmer
herum, blieb dann am Fenster stehen und sah auf den Spielplatz vor ihrem Wohnblock
hinunter. Trotz all der Maßnahmen hatte sich an der Anonymität nicht viel geändert.
Niemand nutzte die dort neben Sandkasten und Schaukel aufgestellten Sitzbänke für
ein Treffen oder einen Plausch unter Müttern.
Die Zeitung in ihrer Hand begann zu zittern.
Angenommen, die Geschichte, die Claudine
ihr erzählt hatte, stimmte – wusste der Mörder dann auch von ihr?
Vielleicht hatte Claudine ihrem Mörder gedroht,
er sei auch nach ihrem Tod nicht sicher, weil sie eine dritte Person eingeweiht
hatte. Womöglich hatte sie sogar ihren Namen genannt, ihre Adresse, erpresst durch
Folter?
Quatsch!, rief sie sich zur Ordnung. Claudine
hätte nie etwas verraten. Sie war stark und mutig – den Tod empfand sie nicht als
etwas Schreckliches.
Einen Moment noch sah sie in den Hof hinunter.
Sie hatte heute Spätschicht.
Das Auto war zur Reparatur.
Sie würde das Fahrrad nehmen müssen.
Es wurde schon sehr früh dunkel.
Und vielleicht hatte Claudine ja doch was
erzählt?
Panik breitete sich vom Bauchnabel ausgehend
über den gesamten Körper aus.
Sie spürte, wie ihre Knie bebend gegeneinanderschlugen.
Ungeschickt zerknüllte sie die Zeitung,
stopfte sie in den Mülleimer, griff zum Telefon, um sich krank zu melden, zögerte
dann aber.
Sicher war sicher.
Oder wäre das feige? Ach Claudine, dachte
sie traurig, wie soll es nun weitergehen?
16
Madeleine Treschker winkte ihrem Mann zum Abschied aus
dem Zugfenster.
Einen Moment überlegte sie, ob es wirklich
eine gute Idee war, noch heute Abend nach Erfurt zu fahren, doch dann dachte sie
daran, welche Beruhigung sie erfahren würde, und beschloss, sich keine Sorgen mehr
zu machen. Schließlich hatte dieser große Hauptkommissar kein Wort davon gesagt,
dass sie die Stadt nicht verlassen dürfe.
Und Christen suchten auch seelischen Beistand
in ihrer Kirche, oder etwa nicht?, dachte sie trotzig und fühlte sich etwas besser.
Ihre kleine Reisetasche auf dem Nachbarsitz
enthielt, was sie für eine Nacht brauchen würde.
Viel Schlaf war ohnehin nicht zu erwarten.
Traurig dachte sie an die letzte Fahrt nach
Erfurt, auf der ihr Mann sie begleitet hatte. Eine ganze Nacht waren sie durch die
Kneipen der mittelalterlichen Altstadt getourt.
Zunächst natürlich war das Touristenprogramm
abzuarbeiten, und sie besuchten die Krämerbrücke, die mit 79 Häusern überbaut war.
So etwas bot diesseits der Alpen nur Erfurt. Den Dom hatten sie besichtigt und St.
Severi. Beeindruckt von der Majestät dieser sakralen Bauwerke hatten sie zunächst
im ›Paganini‹ im Gildehaus Rast gemacht. Sehr schön. Die Atmosphäre am Fischmarkt
hatte sie bezaubert, die Nacht verwöhnte sie mit sommerlichen Temperaturen, und
so zogen sie gut gelaunt weiter, um sich in der Showküche des ›Bürgerhofes‹, von
der ihnen Freunde erzählt hatten, vom Koch in Küchengeheimnisse einweihen zu lassen.
Irgendwann konnte sie sich die Namen der
vielen Kneipen nicht mehr merken.
Eines, glaubte sie sich vage zu erinnern,
hieß mit Knolle – ›Tolle Knolle‹?
Es war ein unvergesslicher Abend gewesen.
Schade, dass der Anlass für diese Fahrt
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