Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
sein.«
Peter Nachtigall behielt seine freundlich
interessierte Miene bei. Der Zeuge sollte die plötzliche Anspannung nicht bemerken.
»Haben Sie auch schon mal einen zur Strecke
gebracht?«
»Nein! Das ist zu gefährlich. Aber ich kann
sie vertreiben. Die haben Angst vor glänzendem Metall. Eine scharfe Klinge gefällt
ihnen auch nicht. Wenn ich ihnen mein Schwert zeige, hauen sie ab.«
»Sie haben ein Schwert? Eine gute Waffe.«
»Ja. Es hat mir schon manches Mal das Leben
gerettet. Wenn ich die Tür öffne, nehme ich es meist mit. Und wenn dann einer von
denen im Flur steht, bin ich vorbereitet. Wenn ich nicht hier bin, können die auch
nicht rein. Ich ziehe im Rausgehen einen Vorhang aus Alufolie vor – das hält sie
meist ab. Am schlimmsten ist es, wenn ich am Abend vor dem Fernseher sitze. Da bemerke
ich die Invasion nicht gleich. Aber seit ein paar Wochen stopfe ich Alufolie in
den Türspalt – rundrum –, und nun ist es besser geworden. Manchmal allerdings schaffen
sie es, die Folie an einer Stelle rauszudrücken. Ja, ja. Die sind schlau.«
»Wie funktioniert der Abwehrtrick genau?«
»Das ist einfach. Es liegt an diesem metallischen
Schimmer. Wie die Klinge von meinem Schwert. Wenn etwas stärker glänzt als sie selbst,
kriegen sie es mit der Angst zu tun.«
Er goss den Kaffee in zwei große Becher,
reichte einen an Nachtigall weiter und stellte Milch und Zucker auf den Tisch.
»Kann ich das Schwert mal sehen?«
»Klar!« Siegfried-Uwe strahlte. Er griff
unter die Spüle und zog ein Kurzschwert hervor. Mit Besitzerstolz strich er über
die Klinge, bevor er es an Nachtigall weiterreichte.
»Aber nicht fallen lassen«, mahnte er.
Nachtigall zeigte sich beeindruckt und untersuchte
die Waffe eingehend.
Auf ihn machte sie nicht den Eindruck, als
sei sie je benutzt worden. Makellos sah sie aus und war so poliert, dass sie das
durch das Fenster einfallende Licht blitzend reflektierte.
»Eine schöne Waffe«, lobte er. »Gut gepflegt.«
»Ja – ich weiß, dass sie nicht scharf ist.
Aber darum geht es auch nicht.«
»Wie wollen die Sie dann vernichten? Sie
sind gut vorbereitet.« Nachtigall probierte von dem Kaffee. Er war aromatisch und
schmeckte hervorragend.
»Sie bohren sich in deinen Kopf. Und dann
vergisst du viele Dinge. Termine zum Beispiel. Oder Namen. Manchmal stehe ich da
und denke, den kennst du doch, das ist der … und dann kann ich mich nicht mehr erinnern.
Dann weiß ich, sie sind wieder da. Wenn so etwas passiert, wickle ich Alufolie um
meine Stirn – wie beim Blindekuh-Spiel – und stelle mich vors Fenster. Die Augen
hinter der Folie musst du natürlich geöffnet lassen, damit das Strahlen bis in den
Kopf fallen kann. Dann ziehen sie sich zurück.«
»Und auf Gewalt reagieren sie nicht?«
»Oh, nein. Wenn man sie verletzt, teilen
sie sich und werden immer mehr. Es geht nur mit Glanz und Strahlen.«
»Aha. Würden Sie mir das Schwert für heute
ausleihen? Ich sollte doch wohl dafür sorgen, dass die Menschen sich schützen können.
Da brauche ich es. Dann bringe ich es zurück.«
Leisebub sah Nachtigall skeptisch an.
»Ich weiß nicht. Es reicht doch, wenn Sie
es erzählen. Nach der Arbeit gehe ich noch einkaufen – mein Kühlschrank ist ziemlich
leer, und eine Rolle Alufolie brauche ich auch wieder. Und wenn ich dann heute Abend
zu Hause bin und sie kommen?«
Aber dann war er doch einverstanden.
»Puh! Kann so jemand überhaupt noch allein leben? Der ist
doch schon ganz schön neben der Spur.« Albrecht Skorubski war erleichtert, die Wohnung
gesund verlassen zu haben.
»Ich glaube, er kommt sonst gut zurecht.
Er hat nur diese fixe Idee. Er geht arbeiten, kauft ein. So schlimm kann es jedenfalls
nicht sein, dass er seinen Alltag nicht organisiert bekommt.«
»Ich glaube, so jemand braucht einen Betreuer.«
»Möglich. Wir werden mal nachfragen – vielleicht
ist er ja im Klinikum bekannt.«
»Willst du ihm das Schwert wirklich wieder
zurückgeben? Solch eine gefährliche Waffe.«
»Es ist völlig stumpf – aber zustechen kann
man schon damit. Jetzt kommt es erst mal ins Labor – dann sehen wir weiter«, beendete
Nachtigall die Diskussion. »Fahren wir bei Frau Fischer vorbei. Wenn sie wirklich
eine so gute Freundin von Claudine Caro war, kann sie uns vielleicht etwas Neues
über sie erzählen. Schließlich kannte sie das Opfer in einem ganz anderen Kontext
als die Studenten.«
Als es an der Tür klingelte, zuckte Heide Fischer heftig
zusammen.
Sie
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