Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
gegeben!«
Dabei flackerte so viel entschlossener Hass in den Augen des Jugendlichen, dass
Wiener eine Gänsehaut bekam.
Es kostete ihn Überwindung, die Säbel zu
konfiszieren.
»Wenn da auch nur ein Kratzer dran ist –
dann gibt es so richtig Ärger!«, giftete Paul hinter ihm her, und die Mutter schloss
gleichgültig die Tür hinter dem Kriminalbeamten.
Im Büro traf er auf Nachtigall und Skorubski, die ebenfalls
ihre Tour beendet hatten.
»Heide Fischer haben wir nirgendwo angetroffen.
Sie hat heute frei, und auf unser Klingeln hat niemand geöffnet. Siegfried-Uwe Leisebub
besitzt ein Schwert. Das Labor prüft es auf Blutspuren. Und er ist nicht ganz von
dieser Welt – wir glauben, dass er einen Betreuer hat. Können wir das irgendwo erfragen
ohne großen Aufwand?«, fragte Peter Nachtigall.
»Lasst mich nur machen. Ich habe beide Kunden
angetroffen und kann nur hoffen, dass es sich dabei um die Spitze des Eisbergs handelt.
Du liebe Zeit. Frau Rosalind Bauer ist so aggressiv, dass es sicher eine dicke Akte
über sie bei uns gibt – und bei Paul Harrer handelt es sich um einen Jugendlichen
der rechten Szene. Seine beiden Säbel habe ich konfisziert. Mann!«
»Immerhin hat man uns bloß drei richtig
auffällige Kunden genannt. Wenn du nun überlegst, wie viele Leute dort ihre Burger
kaufen, sind das ziemlich wenig«, meinte Skorubski.
»Ja, aber die haben es ganz schön in sich.
Die Trauerfeier fängt in einer Stunde an.«
»Ich bleibe hier und suche mal nach dem
Betreuer von Siegfried-Uwe Leisebub.«
»Eigentlich ist es auch nicht nötig, dass
wir zu dritt dort auftauchen«, stellte Nachtigall fest. »Das verschreckt die Teilnehmer
womöglich, und wir wollen ja auch nur gucken und nicht stören.«
»Emile habe ich informiert. Er will versuchen,
euch an der Kirche zu treffen.«
»Danke, Michael. Wir gehen noch schnell
was essen – sollen wir dir etwas mitbringen?«
Wiener schüttelte den Kopf und zog eine
Frischhaltedose aus der Schreibtischschublade.
»Selbstversorger! Marnie hat sich vorgenommen,
mich gesünder zu ernähren. Ich bekomme jetzt immer was Gutes mit Sprossen oder so.«
»Und das schmeckt?« Skorubski, der gerne
deftig aß, staunte.
»Dir sicher nicht. Aber mir schon. Außerdem
stimmt so die Energiebilanz. Ich habe gerade im Internet gelesen, dass Menschen,
die in mittleren Jahren übergewichtig sind …«
»Wissen wir schon«, fiel ihm Nachtigall
ungehalten ins Wort. »Das ist eine Hetzkampagne! Erst behauptet sogar die Regierung,
es gäbe einen Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Übergewicht, und nun stellt
man auch noch fest, dass Übergewicht in die Demenz führt. Wir etwas stärkeren Figuren
sind wohl die neuen Sündenböcke der Nation!«, schimpfte er noch immer, als er schon
auf den Gang hinaustrat.
40
Die kleine katholische Carolinen-Kirche konnte die vielen
Teilnehmer des Trauergottesdienstes nicht aufnehmen. Die, denen es nicht gelungen
war, sich noch in das Gotteshaus zu schieben, standen auf dem Weg vor und um das
Kirchengebäude. Melancholische, schwere Musik wurde von Lautsprechern nach draußen
übertragen, Nachtigall kannte sie nicht, wurde aber unmittelbar von der Traurigkeit
erfasst, die sie vermittelte. Später würde auf diesem Wege auch die Stimme des Geistlichen
die draußen um die Kirche Versammelten erreichen, damit alle die Predigt verfolgen
konnten. Drinnen saßen die Trauernden dicht an dicht, und an den Seiten schubsten
und drängten sich die, die keinen Sitzplatz mehr gefunden hatten. Es war kühl. Durch
die Menschenmassen würde die Luft bald stickig. Besorgt lief eine ältere Dame umher
und öffnete so viele Türen und Fenster wie möglich.
Traditionelles Schwarz wurde durch die bunten
Gewänder der schwarzen Bekannten Claudines aufgelockert.
Nachtigall sah sich unauffällig um.
Überwiegend junge Gesichter, stellte er
fest. Gesichter von Menschen, denen der Tod und die Trauer über den Verlust eines
lieben Angehörigen oder Freundes nun vielleicht zum ersten Mal begegnet waren, manchen
gleich zweimal hintereinander.
Vor dem Altar stand eine große Fotografie,
die eine lachende Claudine zeigte. Ein Trauerflor war um eine Ecke des Rahmens geschlungen,
und brennende Kerzen daneben unterstrichen die feierliche Atmosphäre.
Die jungen Besucher dieser Veranstaltung
waren unruhig.
In den Bänken drückten sie sich aneinander
wie verschreckte Schafe und warteten, konnten ihre Augen nicht von dem Bild ihrer
Freundin oder Studienkollegin
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