Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
durchrang.
»Na gut. Hat sie was ausgefressen? Oder
kommt jetzt schon die Kriminalpolizei, wenn Studenten eine Vorlesung schwänzen?«,
er lachte keckernd und ging voran.
»Bianca! Die Polizei ist hier und will von
dir wissen, ob ich der Erzeuger von Beate bin«, grölte er den Flur entlang.
Eine Tür öffnete sich einen Spalt breit,
ein rundes, fröhliches Gesicht unter einem Handtuchturban erschien.
»Wegen so was kommt gleich die Polizei vorbei?«,
staunte die Frau und meinte gelassen. »Klar du! Wer denn sonst?« Und schloss die
Tür wieder.
Sekunden später war das hohe Pfeifen eines
Föns zu hören.
»Da hören Sie es selbst!« Herr Michaelis
wandte sich mit triumphierendem Lächeln zu den Ermittlern um. »Sie muss es ja wissen.
Uns Männern bleibt – bei allen angebrachten Zweifeln – nur übrig, ihnen zu glauben.«
»Herr Michaelis – wir sind weder hier, um
Ihre Vaterschaft zu klären, noch um eine schwänzende Studentin zu finden. Es tut
mir leid, dass ich Ihnen diese Nachricht überbringen muss. Wir haben heute Morgen
Ihre Tochter ermordet aufgefunden.«
Zunächst änderte sich nichts am Gesichtsausdruck
des Vaters, das triumphierende Lächeln blieb, und Nachtigall fürchtete schon, er
habe zu leise gesprochen. Doch dann verflüchtigte es sich, und Herr Michaelis begann
zu zittern.
Zuerst nur an den Händen.
Dann schlugen die Zähne aufeinander.
Zuletzt gaben die Beine nach.
Nachtigall sprang hinzu, umfasste den mageren
Körper des Mannes und führte ihn langsam, Schritt für Schritt zu einer Couch im
Wohnzimmer.
Aus dem Bad kam noch immer das sausende
Pfeifen.
Ein Geräusch wie aus einer anderen Welt.
»Tot? Beate?«, hauchte der Vater und rang
um Fassung.
»Ja. Sie muss ihren Mörder direkt vor der
Haustür getroffen haben.«
»So einen perversen Vergewaltiger?« Seine
Augen schwammen in Tränen.
»Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht
ausschließen. Aber wir gehen davon aus, dass es sich um den Täter handelt, der auch
schon zwei ihrer Freunde getötet hat.«
»Wäre sie bei uns geblieben – nie hätte
der Mörder sie hier erwischen können. Ich hätte sie beschützt.«
»Aber Beate wohnte lieber näher an der Uni?«,
fragte Nachtigall diplomatisch.
»Ha!«, bellte Herr Michaelis. »So ist es
nicht gewesen! Nein! Es gab Probleme – wie sie eben auftreten, wenn drei Erwachsene
in einer kleinen Wohnung mit nur einem Bad, einer Küche, einem Kühlschrank zusammenleben.
Beate wollte frei sein – ›Regeln? Nein, danke!‹ wurde zu ihrem Lieblingsspruch.
Aber diese Konflikte gibt es in anderen Familien auch. Wir hätten’s auch in den
Griff bekommen, ganz sicher! Aber die Schwester meiner Frau – nur wenig älter als
Beate selbst – musste sich ständig einmischen. Hat dem Kind Flausen in den Kopf
gesetzt und vom Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben gefaselt.«
Er barg sein Gesicht in den Händen.
Als er wieder aufsah, war sein Gesicht tränennass.
»Beate hat immer schon für ihre Tante geschwärmt.
Meinte, sie sei ein unabhängiger Geist, der lebe, was er sage. Aber Gudrun konnte
sich diese Unabhängigkeit auch leisten. Sie war schon immer das verwöhnte Nesthäkchen
der Familie. Geldsorgen kannte sie nicht. Vor vier Jahren hat sie den Jackpot im
Lotto geknackt, seither machte sie nur noch, woran sie Spaß hatte. 24 Millionen
Euro! Da kann man leicht eine große Klappe haben!«
»24 Millionen Euro«, echote Skorubski beeindruckt.
»Ja. Davon hat sie unserer Kleinen die Wohnung
in der Comeniusstraße gekauft, nennt sich seither Amaryllis Garden und veröffentlicht
zusammen mit jemandem, der sich auskennt, Gartenratgeber. Sie steuert bloß die tollen
Fotos bei – mit Pflanzen hat sie noch nie Glück gehabt.«
»Dann gehörte die Wohnung Ihrer Tochter?
Sie erzählte nämlich, sie dürfe nur darin wohnen.«
»Na ja. Was sollte sie denn ihren Freunden
die Wahrheit erzählen? Das hätte doch nur Neid verursacht, sie wäre zum Außenseiter
geworden. Also hat sie die Wirklichkeit studententauglich aufgearbeitet.«
»Und Ihre Frau wurde von dem Geldsegen nicht
bedacht?«, fragte Albrecht Skorubski und erntete einen so hasserfüllten Blick, dass
er zusammenzuckte.
»Nein! Wo denken Sie hin! Das habe ich verboten.
Sie hat uns unser Kind entfremdet – von dieser Person nehmen wir kein Almosen!«
Niemand hatte registriert, dass der Fön
verstummt war.
So fuhren sie zusammen, als Frau Michaelis
gut gelaunt in den Raum flötete: »Was macht ihr denn für Gesichter? Es
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