Wortlos: Peter Nachtigalls fünfter Fall (German Edition)
Alter«, kommentierte ein
anderer, der gerade seinen Kopf zur Tür hereinstreckte.
»Herr Nachtigall?«
»Ja!«
»Wir haben in einem Garten ein paar Häuser
weiter einen blutverschmierten Schürhaken gefunden. Die beiden Ärzte da unten sind
der Ansicht, dass der Mörder seinem Opfer wahrscheinlich damit das Gesicht zertrümmert
hat.«
»Danke.«
Der Kopf verschwand wieder.
»Habt ihr irgendwo ein Kaminbesteck gefunden,
bei dem ein Schürhaken fehlt?«, wollte Nachtigall wissen.
»Ja – der Kamin ist im Arbeitszimmer oder
der Bibliothek – wie auch immer Sie den Raum nennen wollen. Und der Haken ist bisher
tatsächlich noch nicht aufgetaucht. Wenn meine Tochter erfährt, wie feudal Studenten
heute wohnen, will sie glatt mehr Unterhalt. Das arme Kind wohnt in einem kleinen
Zimmer in einer WG.«
»Die Wohnung gehört der Tante der Studentin.«
Nachtigall konnte dieses Gescherze und Gerede an Tatorten nur schwer ertragen. Er
empfand es als Beleidigung, ja Entwürdigung des Opfers, wusste aber, dass die anderen
seine Ansicht nicht teilten.
Schweigend sah er sich weiter um.
Die Teppiche hatte der Täter aufgerollt
und an die Wände gezogen.
Das Parkett darunter war makellos – keine
losen Teile, unter denen ein Versteck vermutet werden konnte.
Alle Kleidungsstücke lagen verstreut umher,
die Schubladeninhalte ebenfalls. Etwas Großes konnte es demnach nicht sein, was
versteckt werden sollte. Im Gegenteil – der Gegenstand war bestimmt eher schmal
und klein. So klein, dass man ihn hätte unter den Teppich schieben können, ohne
beim Laufen darüber zu stolpern?
45
Beate Michaelis’ Eltern wohnten in einer Wohnung in Schmellwitz.
»An der Zuschka um die Ecke – wir fahren
am besten gleich hin«, beschloss Nachtigall. »Hier können wir ohnehin nichts mehr
tun. Falls die Kollegen etwas finden, werden sie uns verständigen.«
»Stimmt was nicht?«, fragte Skorubski, dem
der trostlose Unterton aufgefallen war.
»Wir hätten diesen Mord verhindern müssen!
Nein! Ich hätte diesen Mord verhindern müssen! Wir haben gewusst, dass Beate Michaelis
unsere Warnungen nicht ernst genommen hat. Sie war zu selbstbewusst und hat nun
mit ihrem Leben bezahlt. Eine Beamtin in ihrer Wohnung! Aber sie wollte nicht, und
ich habe nicht nachhaltig genug insistiert.«
»Nun mach aber mal ’nen Punkt! Die junge
Frau wusste von unseren Ermittlungen, war informiert und hat sich selbst gegen einen
Schutz entschieden. Sie war intelligent und brauchte kein Kindermädchen. Dich trifft
keine Schuld!«
»Sie hat das Risiko nicht erkannt – konnte
es nicht erkennen. Ich hätte ihr die Augen öffnen müssen!«
»Nicht einmal Emile war der Auffassung,
man müsse jemanden mit Nachdruck dazu bringen, Polizeischutz anzunehmen – er respektierte
die Entscheidung auch.«
»Ich weiß, wie oberflächlich junge Mädchen
in diesem Alter sind«, beharrte Nachtigall und Skorubski beschloss, das Thema erst
einmal ruhen zu lassen.
»Hier wohnen die Eltern?«, fragte Nachtigall
verblüfft, als Skorubski den Wagen auf dem Parkplatz vor einer Plattenbausiedlung
abstellte.
»Wenn die Adresse stimmt, die Michael uns
durchgegeben hat.«
»Die Eltern wohnen in einer P2-Wohnung,
und der Tochter steht eine Luxuswohnung zur Verfügung. Das ist ziemlich ungewöhnlich,
denkst du nicht?«
»Hat sie uns nicht erzählt, sie dürfe die
Räume nur nutzen? Vielleicht war es besser auszuziehen – Streit zwischen ihr und
den Eltern«, spekulierte Skorubski.
Nachtigall nickte. »Denkbar. Welche Hausnummer?«
»17 – das muss dort drüben sein!« Skorubski
zeigte auf einen Hauseingang, der all den benachbarten glich.
»Wenn du hier betrunken nach Hause kommst,
hast du ein Problem«, murmelte er dann.
Herr Michaelis, ein ergrauter Endfünfziger mit kantigen
Gesichtszügen und intensiv meerblauen Augen, erwartete sie in der Tür stehend mit
abweisender Miene.
»Sie sind der Vater von Beate Michaelis?«
»Wie man’s nimmt«, antwortete der asketische
Mann, und Nachtigall erkannte, dass dieser sprachliche Spielzug zur Eröffnung nicht
so gut taugte, wie er gehofft hatte.
»Wir würden gerne mit den Eltern von Beate
Michaelis sprechen. Kriminalpolizei Cottbus. Albrecht Skorubski, und mein Name ist
Peter Nachtigall«, versuchte er es eher klassisch.
»Aha!«
Der Mann blieb ungerührt stehen.
»Können wir bitte einen Moment reinkommen?«
Sie steckten die Ausweise wieder ein und
warteten, während der Angesprochene sich zu einer Entscheidung
Weitere Kostenlose Bücher