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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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ein, dass er nur selten an sie denkt, wenn er sie nicht vor Augen hat.
    Jahre werden ins Land gehen, ehe sie ihm wieder in den Sinn kommen wird. Doch dann als eine Quelle von Glücksgefühlen, die bis zum Tage seines Todes nicht versiegen wird. Manchmal wird er sich in Gedanken sogar ausmalen, was womöglich geschehen wäre, wenn er das Angebot angenommen hätte. Insgeheim wird er sich eine strahlende Gesundung vorstellen, Netties Entwicklung zu einer erwachsenen Frau, ihr gemeinsames Leben. Törichte Gedanken eben, wie ein Mann sie in aller Heimlichkeit hegen mag.
    Mehrere Boote kamen vom Land und legten längsseits an mit Fischen, Rum, lebenden Schafen, Tabak und weiteren Waren, die sie für teures Geld an die Passagiere verkauften. Am 1 . August hatten wir eine leichte Brise, am Morgen des 2 . passierten wir die Insel von Orleans, und gegen sechs Uhr früh sichteten wir Quebec, alle, denke ich, bei so guter Gesundheit wie zum Zeitpunkt unserer Abreise von Schottland. Wir sollen unsere Reise nach Montreal morgen auf einem Dampfschiff fortsetzen …
     
    Mein Bruder Walter hat im vorangehenden Teil des Briefes ein langes Tagebuch geschrieben, das ich kurz zusammenfassen will. Wir hatten eine ungemein gedeihliche Überfahrt, die unserer Gesundheit keinerlei Abbruch tat. Von dreihundert Passagieren starben nur 3 , wovon zwei bereits kränkelten, als sie ihr Heimatland verließen, und der andere ein auf dem Schiff geborenes Kind war. Unsere Familie ist an Bord so gesund gewesen wie in Schottland sonst auch. Wir können noch nichts über die Beschaffenheit des Landes sagen. Zahlreiche Menschen landen hier, aber der Lohn ist gut. Ich kann anderen weder zuraten noch davon abraten, herzukommen. Das Land ist ungeheuer weit und sehr dünn besiedelt. Ich glaube, wir haben so viel brach liegenden und von Wald bedeckten Boden gesehen, dass die ganze Bevölkerung Britanniens darauf ihr Auskommen fände. Wir werden euch wieder schreiben, sobald wir uns niedergelassen haben.
    Nachdem Andrew diesen Absatz hinzugefügt hat, lässt sich der alte James dazu überreden, seine Unterschrift neben die seiner Söhne zu setzen, bevor der Brief versiegelt und in Quebec nach Schottland aufgegeben wird. Doch er schreibt kein weiteres Wort hin, sagt nur: »Was liegt mir schon daran? Es kann nicht meine Heimat werden. Es kann für mich nichts weiter als das Land sein, in dem ich sterben werde.«
    »Das wird es für alle von uns sein«, sagt Andrew. »Aber wenn unsere Zeit kommt, werden wir es uns zur Heimat gemacht haben.«
    »Die Zeit dafür ist mir nicht vergönnt.«
    »Geht es dir nicht gut, Vater?«
    »Es geht mir gut und auch wieder nicht.«
    Der kleine James wendet sich jetzt gelegentlich dem alten Mann zu, bleibt manchmal vor ihm stehen, schaut ihm ins Gesicht und sagt ein Wort zu ihm, mit aufforderndem Nachdruck, als müsste das unweigerlich ein Gespräch herbeiführen.
    Er wählt jedes Mal dasselbe Wort.
Schlüssel
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    »Er ärgert mich«, sagt der alte James. »Seine Frechheit gefällt mir ganz und gar nicht. Er wird es immer so weitertreiben und sich an nichts von Schottland erinnern, in dem er geboren wurde, und auch nicht an das Schiff, das ihn getragen hat, er wird bald in einer anderen Sprache reden, wie sie es tun, wenn sie nach England gehen, nur noch schlimmer. Er schaut mich an mit einem Blick, der sagt, er weiß, dass es mit mir und meiner Zeit ein Ende hat.«
    »Er wird sich an vieles erinnern«, sagt Mary. Seit dem Tanzfest an Deck und dem Zwischenfall mit Mr Suter ergreift sie in ihrer Familie freimütiger das Wort.
    »Und er zieht kein freches Gesicht«, sagt sie. »Er ist nur auf alles neugierig. Er versteht, was du sagst, viel mehr, als du meinst. Er nimmt alles wahr und denkt darüber nach. Vielleicht wird er eines Tages Pfarrer.«
    Obwohl sie zu ihrem Glauben ein so dürres und fernes Verhältnis hat, ist das in ihrer Vorstellung immer noch das Größte, was ein Mann erreichen kann.
    Ihre Augen füllen sich mit Tränen der Begeisterung, doch alle anderen mustern das Kind mit spürbarem Vorbehalt.
    Der kleine James steht in ihrer Mitte – helläugig, blond, mit durchgedrücktem Rücken. Ein wenig eitel, ein wenig misstrauisch, als spüre er auf seinen kleinen Schultern die Last der Zukunft.
    Auch die Erwachsenen spüren das Erstaunliche des Augenblicks, als seien sie in den vergangenen sechs Wochen nicht von einem Schiff, sondern einer mächtigen Woge getragen und mit jähem Rums hier abgesetzt worden, inmitten

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