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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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seit er vor Jahren Ettrick verlassen hatte. Er schrieb darin, dass er sich gut an sie erinnerte und eigentlich inzwischen von ihrer Heirat hätte hören müssen. Sie hatte geantwortet, in dem Falle hätte sie ihm eine Einladung geschickt.
    »Ich werde bald wie die alten Allmanache im Regal sein, die keiner mehr kaufen will«, schrieb sie. (Aber als er ihr diesen Brief viele Jahre später zeigte, sah sie zu ihrer Schande, dass sie die Almanache mit Doppel-L geschrieben hatte. Das Leben bei ihm, mit Brüdern und Zeitschriften im Haus, hatte ihrer Orthographie sehr gut getan.)
    Es stimmte zwar, dass sie schon in ihrem fünfundzwanzigsten Jahr war, als sie das schrieb, aber sie hatte immer noch Vertrauen in ihr Aussehen. Keine Frau, die sich in der Hinsicht für mangelhaft hält, hätte einen solchen Vergleich gewagt. Und sie hatte damit geendet, ihn einzuladen, so offen, wie Worte es nur können.
Wenn du kämst, um mir den Hof zu machen
, hatte sie geschrieben,
wenn du kämst, um mir in einer Mondnacht den Hof zu machen, erhieltest du, glaube ich, vor anderen den Vorzug
.
    Was bin ich da für ein Risiko eingegangen, sagte sie, als er ihr das zeigte. Hatte ich denn keinen Stolz?
    Ebenso wenig wie ich, sagte er.
     
    Vor der Abreise brachte sie die Kinder zu Wills Grab, damit sie Abschied nahmen. Sogar die winzige Jane, die sich bestimmt nicht erinnern würde, aber dann konnte man ihr später erzählen, dass auch sie dort gewesen war.
    »Sie weiß von nix«, sagte Becky und versuchte, das Kind noch ein wenig länger festzuhalten. Aber Mary nahm ihr den Säugling aus den Armen, und da ging Becky. Ging ohne ein Wort des Abschieds aus dem Haus. Sie war dagewesen, als das Kind geboren wurde, hatte sich um beide gekümmert, als Mary von Sinnen war, aber jetzt nahm sie sich nicht mal die Zeit, um ihr Lebewohl zu sagen.
    Mary ließ die Kinder eins nach dem anderen ans Grab treten und ihrem Vater Adieu sagen. Sogar Tommy sagte es, eifrig die anderen nachahmend. Jamies Stimme war matt und ausdruckslos, als müsste er in der Schule etwas aufsagen.
    Die kleine Jane sträubte sich in Marys Armen, vielleicht vermisste sie Becky und ihren Geruch. Das, dazu der Gedanke an Andrew, der schnell fort wollte, Jamies Tonfall, der sie verunsicherte und verärgerte, machten Marys eigene Abschiedsworte recht kurz und förmlich, sie war nicht mit dem Herzen dabei.
     
    Jamie wusste ganz genau, was sein Vater davon gehalten hätte. Dass sie alle hier antreten mussten, um sich von einem Stein zu verabschieden. Sein Vater gab nichts darauf, so zu tun, als sei ein Ding noch etwas ganz anderes, er hätte gesagt, ein Stein ist nur ein Stein, und wenn es einen Weg gibt, mit den Toten zu reden und von ihnen Antwort zu erhalten, dann nicht diesen.
    Seine Mutter war eine Lügnerin. Und wenn sie nicht glatt log, dann verheimlichte sie zumindest etwas. Sie hatte gesagt, dass sein Onkel kam, aber sie hatte nicht gesagt – dessen war er sicher, dass es war, um sie alle zu sich zu holen. Als dann die Wahrheit herauskam, hatte sie behauptet, sie hätte es ihm gesagt. Und noch schlimmer, noch widerlicher hatte sie behauptet, das sei genau das, was sein Vater gewollt hätte.
    Sein Onkel hasste ihn. So viel war klar. Als seine Mutter auf ihre zuversichtliche, vertrauensselige Art gesagt hatte: »Das ist jetzt mein Mann im Haus«, hatte sein Onkel geantwortet: »So, so«, als wolle er sagen, dass sie arm dran sei, wenn das alles war, womit sie aufwarten konnte.
     
    Im Laufe eines halben Tages hatten sie die Prärie und ihre flachen, buschigen Senken hinter sich gelassen. Und das sogar mit den Ochsen, die nicht schneller gingen als ein Mensch. Nicht halb so schnell wie Jamie, der vor ihnen verschwand und wieder auftauchte, wenn sie um eine Kurve kamen, und wieder verschwand, mit immer mehr Vorsprung.
    »Gibt es keine Pferde, wo du wohnst?«, fragte Johnnie seinen Onkel. Pferde überholten sie hin und wieder, in einer Staubwolke.
    »Das hier sind die Tiere mit der Kraft«, sagte sein Onkel nach einer Pause. Dann: »Hast du nie davon gehört, dass du nur reden sollst, wenn du gefragt wirst?«
    »Das ist, weil wir so viele Sachen haben, Johnnie«, sagte seine Mutter, in einem Ton, der sowohl eine Warnung als auch eine Bitte war, »und wenn du zu müde bist, um zu laufen, dann kannst du hier raufklettern, und sie ziehen auch dich.«
    Sie hatte schon Tommy auf ihr Knie gehoben, und auf der anderen Seite hielt sie den Säugling. Robbie hörte, was sie sagte, und nahm es

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