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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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fast aus der Stadt hinaus waren. Wir interessierten uns beide für Filmstars. Sie hatte viel mehr Filme gesehen als ich – in Chicago konnte man jeden Nachmittag ins Kino gehen, und Sadie nahm sie immer mit. Aber ich war an unserem Kino vorbeigegangen und hatte jedes Mal, wenn der Film wechselte, die Standfotos betrachtet, also wusste ich auch etwas darüber. Und ich hatte zu Hause eine Filmillustrierte, die eine zu Besuch weilende Kusine zurückgelassen hatte. Darin waren Aufnahmen von Deanna Durbins Hochzeit, also redeten wir darüber und malten uns auch aus, wie unsere eigene Hochzeit werden sollte – das Hochzeitskleid, die Kleider der Brautjungfern, die Blumen und das Kostüm für die Hochzeitsreise. Dieselbe Kusine hatte mir etwas geschenkt – ein Buch mit Ziegfeld Girls zum Ausschneiden. Frances hatte den Film über die Ziegfeld Girls gesehen, und wir redeten darüber, welches Ziegfeld Girl wir sein wollten. Sie wählte Judy Garland, weil die singen konnte, und ich wählte Hedy Lamarr, weil das die Schönste war.
    »Mein Vater und meine Mutter haben immer im Operettenverein gesungen«, sagte sie. »Sie haben in den
Piraten von Penzance
gesungen.«
    Operettenverein. Piratenpenzance. Ich legte diese Wörter in meinem Gedächtnis ab, fragte aber nicht, was sie bedeuteten. Hätte sie die in der Schule vor anderen gesagt, wären sie unwiderstehliche Munition gewesen.
    Wenn ihre Mutter aus dem Haus kam, um guten Tag zu sagen – wobei sie Frances zur Begrüßung einen Kuss gab, wie sie ihr morgens einen zum Abschied gegeben hatte, konnte es sein, dass sie fragte, ob ich hereinkommen und spielen konnte. Ich sagte immer, ich müsse gleich nach Hause.
     
    Kurz vor Weihnachten fragte Mrs Wainwright mich, ob ich am nächsten Sonntag zum Essen kommen könne. Sie sagte, es sei ein kleines Dankeschönfest und ein Abschiedsfest, jetzt, wo sie fortgingen. Ich wollte schon sagen, meine Mutter werde es mir wahrscheinlich nicht erlauben, aber als ich das Wort
Abschied
hörte, sah ich die Einladung in anderem Licht. Die Bürde Frances würde von mir genommen werden, keine weiteren Verpflichtungen konnten mehr auf mich zukommen und keine Nähe mehr erzwungen werden. Mrs Wainwright sagte, sie habe meiner Mutter ein Briefchen geschrieben, da sie selbst kein Telefon hätten.
    Meiner Mutter wäre es lieber gewesen, wenn ich in das Haus eines der Mädchen in der Stadt eingeladen worden wäre, aber sie sagte Ja. Auch sie bedachte, dass die Wainwrights wegzogen.
    »Ich weiß nicht, was sie sich dabei gedacht haben, hierher zu kommen«, sagte sie. »Jeder, der sich hier Tapeten leisten kann, klebt sie selber an.«
    »Wo zieht ihr hin?«, fragte ich Frances.
    »Nach Burlington.«
    »Wo ist das?«
    »Auch in Kanada. Wir werden bei meinem Onkel und meiner Tante wohnen, aber wir werden oben unsere eigene Toilette haben und einen Ausguss und eine Kochplatte. Mein Vater wird eine bessere Stellung bekommen.«
    »Als was?«
    »Ich weiß nicht.«
     
    Ihr Weihnachtsbaum stand in einer Ecke. Das Vorderzimmer hatte nur ein Fenster, und wenn sie den Baum dahin gestellt hätten, hätte er alles Licht ausgesperrt. Es war kein großer oder gut gewachsener Baum, aber er war überhäuft mit Lametta und Gold- und Silberkugeln und schönem, kunstvollem Zierat. In einer anderen Ecke des Zimmers befand sich ein Holzofen, in dem offenbar erst vor kurzem Feuer gemacht worden war. Die Luft war noch immer kalt und schwer, erfüllt vom Waldgeruch des Baumes.
    Weder Mr noch Mrs Wainwright hatten viel Vertrauen in das Feuer. Sie machten sich abwechselnd an der Ofenklappe zu schaffen, stocherten kühn mit dem Schürhaken und fassten das Ofenrohr an, um zu prüfen, ob es heiß oder womöglich sogar zu heiß wurde. Der Wind wehte an dem Tag heftig – manchmal blies er den Rauch den Schornstein hinunter.
    Frances und mir war das egal. Auf einem Kartentisch in der Mitte des Zimmers war ein Halmaspiel aufgebaut. Daneben lag ein Stapel Filmillustrierte, über die ich mich sofort hermachte. Solch einen Augenschmaus hatte ich mir nicht träumen lassen. Es machte nichts aus, dass sie nicht neu waren und dass einige fast schon auseinanderfielen. Frances stand neben meinem Stuhl und trübte ein wenig mein Vergnügen, indem sie mir erzählte, was gleich kam und was in einer anderen stand, die ich noch nicht aufgeschlagen hatte. Die Illustrierten waren offensichtlich ihre Idee gewesen, und ich musste Geduld mit ihr haben – sie waren ihr Eigentum, und wenn es ihr

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