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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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einfiel, sie mir wegzunehmen, dann hätte mich das untröstlicher gemacht als der Tod der kleinen Kätzchen, die mein Vater ersäuft hatte.
    Frances war zurechtgemacht wie in einer dieser Filmillustrierten und steckte in dem feinen Kleidchen eines Kinderstars – aus dunkelrotem Samt mit weißem Spitzenkragen, durch den sich ein dunkles Band zog. Ihre Mutter trug genau dasselbe Kleid, und beide waren gleich frisiert – vorn aufgerollt und hinten lang. Frances hatte nicht sehr viele und recht dünne Haare, und bei der ganzen Aufregung und ihrem Herumgespringe, um mir alles zu zeigen, löste sich die Rolle bereits wieder auf.
    Es wurde dunkel in dem Zimmer. Drähte ragten aus der Decke, aber ohne Glühbirnen daran. Mrs Wainwright brachte eine Lampe mit langer Schnur herein und steckte sie in eine Wandsteckdose. Die Glühbirne schien durch das blassgrüne Glas eines Damenrocks.
    »Das ist Scarlett O’Hara«, sagte Frances. »Papa und ich haben sie Mutter zum Geburtstag geschenkt.«
    Wir kamen nie zu dem Halmaspiel, und irgendwann wurde das Brett abgeräumt. Wir legten die Illustrierten auf den Fußboden. Ein Stück Spitze – kein richtiges Tischtuch – wurde auf dem Tisch ausgebreitet. Geschirr folgte. Offenbar sollten Frances und ich hier essen, allein. Beide Eltern waren damit beschäftigt, den Tisch zu decken – Mrs Wainwright trug eine Cocktailschürze über ihrem roten Samt, Mr Wainwright war in Hemdsärmeln und einer Weste mit seidenem Rücken.
    Als alles bereit war, wurden wir an den Tisch gerufen. Ich hatte erwartet, dass Mr Wainwright das Auftragen des Essens seiner Frau überlassen würde – es hatte mich sogar sehr überrascht, ihn mit Messern und Gabeln nahen zu sehen, doch jetzt zog er unsere Stühle zurück und verkündete, dass er unser Kellner sei. Als er so dicht neben mir stand, konnte ich ihn riechen und seinen Atem hören. Sein Atem ging schnell, wie der eines Hundes, und er roch nach Talkumpuder und Rasierwasser, etwas, das mich an frische Windeln erinnerte und auf eine unangenehme Nähe deutete.
    »Meine reizenden jungen Damen«, sagte er, »ich werde Ihnen jetzt den Champagner servieren.«
    Er brachte einen Krug mit Limonade und füllte unsere Gläser. Ich war skeptisch, bis ich sie probierte – ich wusste, dass Champagner ein alkoholisches Getränk war. So etwas tranken wir in unserem Haus nie, ebenso wenig wie alle anderen, die ich kannte. Mr Wainwright sah mir beim Kosten zu und schien meine Gefühle zu erraten.
    »Ist es gut so? Jetzt nicht mehr in Sorge?«, fragte er. »Alles zur Zufriedenheit der gnädigen Frau?«
    Er machte einen Diener.
    »Also«, sagte er. »Was wünschen Sie zu speisen?« Er rasselte eine Liste von mir fremden Dingen herunter – ich erkannte nur Wild, das ich noch nie gegessen hatte. Die Liste endete mit Bries. Frances kicherte und sagte: »Wir nehmen bitte Bries. Und Kartoffeln.«
    Ich verstand Gries und wunderte mich, warum der zusammen mit Kartoffeln gegessen wurde. Was dann jedoch auf den Tisch kam, das waren in krossen Schinkenspeck gewickelte Fleischstücke und kleine Kartoffeln in der Schale, die in heißer Butter gewälzt und in der Pfanne knusprig gebraten worden waren. Außerdem Mohrrüben, in dünne Stäbchen geschnitten und mit leicht karamellisiertem Geschmack. Die Mohrrüben hätte ich entbehren können, aber ich hatte noch nie so köstliche Kartoffeln oder so zartes Fleisch gegessen. Ich wünschte nur, Mr Wainwright würde in der Küche bleiben, statt um uns herumzuwuseln, uns Limonade einzuschenken und uns zu fragen, ob alles zu unserer Zufriedenheit sei.
    Die Nachspeise war ein weiteres Wunder – ein seidiger Vanillepudding mit einer Art von Deckel aus goldbraunem, geröstetem Zucker. Dazu winzige Plätzchen, rundum mit dunkler, leckerer Schokolade überzogen.
    Als kein Tropfen und kein Krümel mehr übrig waren, saß ich pappsatt da. Ich betrachtete den Märchenbaum mit seinem Zierat, seinen Schmuckstücken wie winzige Schlösser oder auch Engel. Zugluft drang durch den Fensterrahmen und bewegte leicht die Zweige, das Lametta raschelte, und die Schmuckstücke drehten sich ein wenig, um aufs Neue zu funkeln. Den Bauch voll von diesem reichhaltigen und köstlichen Essen, schien ich in einem Traum angelangt zu sein, in dem alles, was ich sah, stark und gut war.
    Eines der Dinge, die ich sah, war der Feuerschein, ein rostrotes Glosen im Ofenrohr. Ich sagte ganz ruhig zu Frances: »Ich glaube, euer Ofenrohr brennt.«
    In einer Stimmung

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