Wuensch dir was
aufzuhören?«
»Jetzt übertreibst du aber, Lucy«, unterbrach ich sie.
»Nein, Gram, das ist nicht übertrieben, und das weißt du auch!«, schrie sie mich an. Frida fuhr herum, aber ich bezweifelte, dass sie hinter mein Geheimnis
gekommen war. Schließlich hatte ich ihr einmal an einem strahlend blauen Tag eingeredet, es würde regnen.
»Mom, ich habe die Nase voll davon, wie du Grandmom bemutterst.«
»Lucy, du gehst zu weit«, schalt ich, und zum Teil meinte ich es auch so. Ich wollte meine Tochter noch immer beschützen.
»Im Gegenteil, ich bin noch nicht weit genug gegangen. Ich habe das viel zu lange mit angesehen. Ich hätte schon längst eingreifen sollen.«
»Nun mach mal halblang, Lucy«, mahnte ich. »Ich glaube, du willst damit sagen, dass ihr drei einander lieber als Menschen betrachten solltet, statt euch in die Schubladen Tochter, Mutter und Großmutter zu stecken.«
»Ja, genau das meine ich«, stimmte Lucy mir heftig gestikulierend zu. »Sieh dich doch mal an, Mom! Weißt du eigentlich, was das für mich für ein Gefühl war, als ich vorhin in diese Bar kam und dich dort stehen sah? Und was wolltet ihr überhaupt dort?«
»Ich wollte wissen, was mit Mom passiert ist. Du bist ja den ganzen Tag nicht ans Telefon gegangen!«, zeterte Barbara.
»Weil heute ein sehr wichtiger Tag für mich war, womöglich sogar einer der wichtigsten meines Lebens! Ich hatte ganz einfach keine Zeit, um mit dir zu telefonieren! Dieses Recht solltest du mir schon zugestehen.«
»Aber ich hatte dir doch gesagt, dass ich ganz krank bin vor Sorge um Mom …«
»Nein, das hast du nicht. Du hast gesagt, Tante Frida sei ganz krank vor Sorge.«
»Was ja auch stimmt«, warf Frida ein.
»Du bist übrigens keine Spur besser, Frida«, bemerkte Lucy. Frida zog den Kopf ein.
»Mom, ich habe dir zu Hause eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen, aber du hast dich ja so in dein Drama hineingesteigert, dass du eines völlig vergessen hast: Wenn wirklich etwas Schlimmes passiert wäre, dann hätte dich jemand benachrichtigt.«
Barbara blickte ihre Tochter mit Tränen in den Augen an.
»Ich sage dir das, weil ich dich liebe, Mom …«
»Ich liebe dich auch, Lucy.«
»Aber du musst endlich erwachsen werden, Mom. Es ist höchste Zeit.«
»Also, vielleicht sollte ich versuchen, so manches aus einer anderen Perspektive zu betrachten.«
»Genau darum wollte ich euch bitten.« Lucy nahm mir die Worte aus dem Mund. Meine Zweifel waren ausgeräumt. Ich wusste, dass es das Beste war, die Nabelschnur jetzt zu durchtrennen. Barbara würde immer meine Tochter bleiben, ganz egal, wie alt sie war, aber von nun an würde sie auch meine Freundin sein.
Frida und ich sahen zu, wie sich Lucy und Barbara um den Hals fielen.
»Seit wann hört man auf, sich Sorgen zu machen, wenn man erwachsen wird?«, fragte Barbara.
Schweigen.
Ich ergriff zum ersten Mal seit einer ganzen Weile das Wort. »Man sollte damit aufhören, sobald es einen daran hindert, sein Leben zu leben.« Ich hatte das Gefühl, dass vor meinen Augen gerade ein Theaterstück mit dem Titel »Das Leben der Ellie J.« aufgeführt wurde.
Barbara verschränkte die Arme. »Wie oft rufst du deine Mutter eigentlich an?«
»Meine Mutter ist vor langer Zeit gestorben«, entgegnete ich.
»Oh, das tut mir leid«, bemerkte Frida und rieb sich die Beine.
»Danke«, sagte ich. »Aber ehrlich gesagt war sie Ihnen nicht unähnlich, Mrs. Sustamorn.«
»Ich hoffe doch, das ist ein Kompliment«, stellte Barbara fest.
»Sie hat mich über alles geliebt«, setzte ich an. »Und sie war sehr um mein Wohlergehen besorgt. Der Unterschied zwischen Lucy und mir ist, dass ich wirklich auf meine Mutter gehört und immer getan habe, was sie von mir verlangt hat.«
Frida hielt inne und sah mich an.
»Siehst du, sie hat auf ihre Mutter gehört.« Barbara nickte Lucy zu.
»Aber ich hätte mich lieber wie Lucy verhalten sollen. Ich hätte ihr nicht das letzte Wort lassen dürfen.
Die Meinung meiner Mutter hätte für mich lediglich eine Entscheidungshilfe sein dürfen. Diesbezüglich sind Lucy und ich sehr verschieden«, fuhr ich fort. »Lucy ist vernünftig genug, selbst zu denken.«
Frida starrte mich an. Sie reckte den Kopf, als wollte sie mich genauer in Augenschein nehmen.
Barbara lächelte und tätschelte Lucy den Kopf.
»Aber – und das ist jetzt nicht respektlos gemeint, also nehmen Sie es mir bitte nicht übel – für mich sieht es so aus, als würden Sie Ihre Mutter so
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