Würde - Roman
einzutreten, ohne nachzuhaken, was sie eigentlich wollten. Abayomi vermutete fast, dass ihre Schwiegermutter vorgewarnt worden war. Die alte Frau hatte sogar ein wenig gelächelt, als ihr die Männer erklärten, dass sie Abayomi ein paar Fragen stellen wollten - fast so, als hätte sie ihre Schwiegertochter sowieso schon länger im Verdacht, heimlich Hochverrat zu begehen, und als wäre sie nun mehr als erleichtert, dass die Behörden sie endlich gefasst hätten.
Na’imah gab sich unterwürfig und respektvoll, als sie den beiden Tee in zarten Porzellantassen servierte, die nur zu besonderen Gelegenheiten herausgeholt wurden. Dazu reichte sie Gebäck, das sie hübsch auf einem Teller anrichtete, und schickte die Bedienstete aus dem Zimmer. Abayomi gegenüber, die ohne Tee mit verschränkten Armen dasaß, ließ sie immer wieder ein abfälliges Schnauben vernehmen. Na’imah verfolgte aufmerksam die Befragung und lauschte den Antworten ihrer Schwiegertochter, inwieweit sie noch in Kontakt mit ihrem Bruder stand. Mindestens einmal merkte Abayomi, wie ihre Schwiegermutter finster die Stirn runzelte. Doch zum Glück war der Polizist viel zu sehr von Abayomis auffallender Schönheit abgelenkt, um auf Na’imah zu achten.
Die Befragung endete ohne Ergebnis, und die Polizisten baten
Abayomi, sie zu kontaktieren, falls sie von Abazu hören sollte. Sie versprach es und senkte den Blick. Die ganze Angelegenheit hatte etwas Routinemäßiges gehabt, aber Ifasen regte sich dennoch schrecklich auf, als er am Abend davon erfuhr. Er war wütend, weil seine Mutter die beiden Männer so freundlich empfangen und sie es zudem versäumt hatte, ihn davon zu unterrichten. Es kam zu einem großen Streit. Abayomi zog sich mit dem Säugling in ihr Zimmer zurück und lauschte den schrillen Bezichtigungen Na’imahs sowie dem lauten Brüllen Ifasens. Der Streit tobte und legte sich, nur um dann die halbe Nacht hindurch von einem Raum in den nächsten getragen zu werden. Das ganze Haus hallte davon wider.
Als Ifasen schließlich zu Bett ging, war er erschöpft und verzweifelt. »Wir können hier nicht länger bleiben«, erklärte er seiner Frau. Diese nickte, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob er damit das Haus seiner Eltern oder Abeokuta meinte. Obwohl sie bereits darüber gesprochen hatten, ein eigenes Zuhause zu finden, hatte bisher noch keiner der beiden den Gedanken geäußert, Nigeria zu verlassen.
»Es ist zu gefährlich, Okeke. Für dich. Für Khalifah. Wir müssen fort von hier.«
Manchmal fällt man wichtige Entscheidungen, ohne lange darüber nachzudenken. In jener Nacht wurde Ifasen nicht nur klar, dass allein der gute Ruf seiner Familie seine Frau und sein Kind nicht beschützen konnte, sondern auch, dass seine Mutter durchaus dazu fähig war, die Situation zu nutzen, um die Ehe ihres Sohnes zu untergraben, ja vielleicht sogar, um Abayomi ernsthaft zu schaden. Das Militär würde sich mit der Zeit immer mehr für seine Frau interessieren, denn die Vorgeschichte ihrer Familie und Abazus politische Aktivitäten machten sie zu einer leichten Zielscheibe.
Wenige Monate später hatten sie sich einen Plan zurechtgelegt,
wie sie Nigeria verlassen wollten. Ein Händler vor Ort stellte den Kontakt zu einem Agenten her, der einen wohlhabenden südafrikanischen Geschäftsmann vertrat.
Sobald der Prozess erst einmal in Gang gesetzt war, trug er sie wie ein Schnellzug mit sich fort. Es blieb ihnen keine Zeit mehr, sich alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Heimlich und hastig wurde verhandelt. Das Geld wurde ihnen förmlich aus der Hand gerissen. Sie nahmen einen Kredit auf, um die Busfahrkarten zu bezahlen, und man fertigte falsche Pässe und gefälschte Flüchtlingspapiere für sie an. Ohne dass sie davon wussten, wurde in ihrem Namen sowohl in Nigeria als auch in Südafrika bestochen, und die Bestechungen wurden akzeptiert. Sobald sie einmal die Entscheidung getroffen hatten zu fliehen, waren sie zu einem Handelsgut geworden und gehörten zum Warenbestand des illegalen internationalen Flüchtlingsgeschäfts. Niemanden scherte es, wovor sie flüchteten oder wohin sie rannten.
Innerlich waren sie noch immer unsicher, hin- und hergerissen und zutiefst verängstigt, als man sie hastig von Simbabwe aus im Durcheinander von Beit Bridge über die Grenze nach Südafrika schaffte. Wenige Stunden nach ihrer Ankunft wurden sie bereits Opfer eines Betrügers, der sie um ihre letzten Ersparnisse brachte, indem er ihnen Falschgeld
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