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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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dass ein weiterer Mann zu ihnen stoßen würde. Eigentlich hatte er gehofft, mit Abayomi allein zu sein.
    Doch noch ehe er eine Frage stellen konnte, schob eine massige Gestalt einen Stuhl zwischen seinen Platz und den von Abayomi und setzte sich rittlings darauf. Der Mann wuchtete seine Ellbogen wie zwei Säcke auf den Tisch, der auf einmal kleiner wirkte. Seine schwarze Haut glitzerte im Dämmerlicht und legte sich wie eine in Falten gelegte Decke um sein breites
Kinn und seinen Nacken. Die Augen und der Mund bewegten sich unabhängig vom Rest des Gesichts und erinnerten an Tiere, die im Morast stecken geblieben waren.
    »Welches Team unterstützt du?«, wollte er als Erstes von Richard wissen. Seine Lippen gaben feuchte Schmatzgeräusche von sich, als er sprach.
    »Ich kenne mich mit Fußball nicht so gut aus«, erwiderte dieser überrascht. »Meine Freunde sind für Liverpool. Also bin ich vermutlich automatisch auch für Liverpool. Ich heiße übrigens Richard.« Er versuchte seine Hand auszustrecken, obwohl er kaum Platz dazu hatte.
    »Ein englischer Verein also.« Der Mann blickte finster drein. »Bist du schon mal in Liverpool gewesen? Hast du die Jungs jemals spielen sehen?« Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich von ihm ab. »Echt, diese Super Eagles … Afrikanische Meister 1980 und’94, und jetzt schaffen sie es nicht einmal, die Küken im Stall zu halten.« Die Gruppe Männer an der Bar grölte, als der Kameruner Stürmer den Ball Richtung Tor schoss, wo er aber vom nigerianischen Torhüter mit der Hand abgewehrt wurde.
    »Ich hab Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität von Ife studiert«, erklärte der riesige Kerl und machte eine Pause, damit die Anwesenden Zeit hatten, diese Tatsache zu verdauen. Sunday kicherte hinter vorgehaltener Hand und wandte sich hastig ab, um sein Gesicht nicht zu zeigen. »Ich sage dir eins: Nigeria ist ein Sinnbild für ganz Afrika. Wir sind angeblich ein Land mit einer politischen Struktur und einem Volk, das Nationalstolz entwickelt, indem es auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitet. Aber in Wirklichkeit will keiner nur eine Regierung, nur ein Land oder auch nur ein Fußballteam unterstützen.« Er zeigte auf den Fernseher. »Afrika muss sich gegen all die verbünden, die uns noch immer als Sklaven sehen. Aber wir
sind einfach nicht in der Lage, die Ketten zu erkennen, die man uns angelegt hat, und dazu gehören vor allem erst einmal die Fesseln dieser erfundenen Nationenidee.«
    Der Mann holte ein Päckchen mit Erdnüssen aus der Tasche und begann die Schalen mit seinen kräftigen Fingern aufzudrücken, während er seine kleine Rede hielt. Er schob sich immer wieder rote Nüsse in den Mund, von denen einige Stücke beim Sprechen herausflogen. Eines landete dabei auch auf Richards Hand. »National verordnete Demokratie verschärft die ethnischen Konflikte«, fuhr der Mann ungerührt fort.
    Richard wischte sich mit einer Papierserviette die Hand sauber und sah zu Abayomi hinüber. Die Gegenwart des Mannes verunsicherte ihn. Sie lächelte und nickte leicht mit dem Kopf, als wollte sie ihm zu verstehen geben, dass er ihm den Gefallen tun solle, sich auf eine Diskussion einzulassen.
    Doch der Mann wartete nicht erst auf Richards Meinung. »Wenn ich in meiner Gegend das Oberhaupt bin«, sagte er, »und gemeinsam mit meinen Leuten, die mich respektieren und mir treu ergeben sind, mein kleines Stück Land kontrolliere, dann ist alles in Ordnung. Doch dann gibt es auf einmal mehr Macht, als ich meinen Leuten bewilligt habe, und zwar nicht nur für sie, sondern auch für alle anderen - die Macht, den zu wählen, der das ganze riesige Land beherrschen soll. Man lädt mich ein, auch selbst mehr Land zu kontrollieren, als ich jemals zuvor kontrolliert habe. Man will, dass ich in Konkurrenz zu anderen trete. Und ethnische Konkurrenz kann viele Gesichter haben. Schau dir nur die Gewalt an, die mein so genanntes Heimatland jahrzehntelang zerstört hat. Warum sollte ich zu einem Wettstreit antreten, den ich gar nicht gewinnen will? Und falls ich doch gewinnen will - warum soll ich mich dann an eure dummen, einschränkenden Regeln halten? Nationale Demokratie in einer Region wie Nigeria führt unweigerlich zu einer Katastrophe.
Nationalismus ist ein einziges Rätsel. Man kann von niemandem einer Regierung gegenüber Treue verlangen, die das eigene Volk überhaupt nicht vertritt. Wie sollte man auch?«
    »Schlägst du dann stattdessen ein totalitäres System vor?«,

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