Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
so leicht zu erliegen. Noch mehr enttäuschte ihn allerdings ihre rasche Antwort.
»Nein, danke, Richard. Nett von dir, das anzubieten. Aber ich bin mir sicher, dass es nicht nötig sein wird.«
    Noch immer schien sie etwas zu quälen, und Richard verspürte das Bedürfnis, sein Angebot zu bekräftigen.
    »Jedenfalls danke, dass du heute gekommen bist.«
    Er suchte nach einer Erwiderung, die ehrlich klang, aber nicht allzu viel von den Gefühlen offenbarte, die er für sie empfand. »Ich freue mich, hier zu sein«, sagte er schließlich. »Und ich bin froh, dass dein Freund bald auf Kaution frei sein wird.«
    Er sah sie ernst und aufmerksam an. Zum ersten Mal bemerkte er trotz des dämmrigen Lichts kleine Flecken auf ihrem Hals und ihren Wangen sowie das Make-up unter ihren Augen. Diese zarten Makel ließen sie allerdings nur noch reizvoller erscheinen, spiegelte sich darin doch eine gewisse Verletzlichkeit wider, die ihm sehr menschlich erschien. Er wandte den Blick ab, da ihn die Heftigkeit seiner Gefühle einen Moment lang fast überwältigte.
    Auf dem großen Fernsehbildschirm neben der Bar lief ein Fußballspiel. Die Spieler rannten fieberhaft über den Rasen und jagten dem weißen Ball hinterher. Den Angaben am unteren Bildschirmrand nach spielte Nigeria gegen Kamerun, und es stand null zu null. Der Reporter brüllte aufgeregt ins Mikrofon, während eine Gruppe von Männern an der Bar ihre eigenen Kommentare zu dem Spiel abgaben, als ob der Schiedsrichter sie hören könnte.
    »Abayomi …«, sagte Richard und wandte sich ihr wieder zu. Sein Mund spielte mit ihrem Namen wie mit einem Stück Karamell. »Du hast mir bei unserem ersten Treffen erklärt, was dein Name bedeutet. Es klang beinahe etwas … etwas einschüchternd.« Er zögerte ein wenig unsicher, aber Abayomi lächelte.
    »Es ist ein Yoruba-Name, obwohl meine Familie eigentlich Igbo ist. Aber meine Großmutter mütterlicherseits war Yoruba.
Sie hat mir diesen Namen gegeben, und ich benutze ihn, weil er mir am liebsten ist. Er bedeutet ›Diejenige, die große Freude schenkt‹.« Ihre Augen funkelten, und Richard versuchte zu lächeln, ohne anzüglich zu wirken. »In meiner Kultur«, fuhr sie fort, wobei sich ihre Miene wieder etwas verhärtete, »haben unsere Namen eine Bedeutung. In deiner Kultur können sich Mörder hinter gewöhnlichen Namen wie John oder George verstecken.«
    Richard ignorierte die Stichelei. »Und was meinst du damit, dass du ihn benutzt, weil er dir am liebsten ist?«, wollte er wissen. »Das verstehe ich nicht.«
    »In meiner Kultur haben wir mehr als nur einen Namen. Mein Igbo-Name lautet Okeke und bedeutet ›Diejenige, die an Eke , also am Markttag, geboren wurde‹. Abayomi könnte man vermutlich als meinen zweiten Vornamen bezeichnen. Dann hat mir meine Tante noch den Namen Ndulu gegeben, was ›Taube‹ heißt, weil eine weiße Taube über unserem Haus kreiste, als ich geboren wurde. Mein Vater hat mich als Mädchen immer Lotanna genannt. Ursprünglich war das wohl als Scherz gedacht, aber der Name ist mir trotzdem geblieben. Er bedeutet: ›Vergiss deinen Vater nie‹. Der Witz besteht darin, dass es in Wirklichkeit ›Vergiss deinen Gott nie‹ heißt, man ›Gott‹ aber auch als ›Vater‹ übersetzen kann. Komplizierter nigerianischer Humor … Jedenfalls wurde ich in der Schule immer Lotanna gerufen, und meine alten Schulfreunde nennen mich auch jetzt noch so. Ich habe noch andere Namen.«
    Sie sah ihm in die Augen. »Unsere Kulturen sind sehr verschieden. Das darfst du nie vergessen, Richard. Du bist ein guter Mann, aber du verstehst nicht immer, worum es eigentlich geht. Zum Beispiel sind in meiner Welt sowohl Namen als auch Worte von großer Wichtigkeit. Wir sagen, man kann Fische mit einem Netz aus Worten fangen. In meiner Welt kann dieselbe Sache
mehrere Bedeutungen haben. Etwas Gesagtes kann vieles bedeuten. Vergiss das nie.«
    Ihre Miene nahm einen beinahe zärtlichen Ausdruck an, als sie fortfuhr. »Unsere Namen symbolisieren gleichzeitig auch unseren gesellschaftlichen Status. Mein Vater hieß Jideofor. Dieser Name ist sehr vielschichtig und hat zahlreiche Bedeutungen, die alle mit Moral und Gewissen zu tun haben. ›Jide‹ heißt ›haben‹ oder ›halten‹; ein Ofor ist der symbolische Wahrheitsoder Friedensstab in Igbo. Derjenige, der den Stab in Händen hält, ist also der Moralischste. Man schwört auf den Ofor , wenn man betonen will, dass man die Wahrheit sagt.« Sie betrachtete ihn

Weitere Kostenlose Bücher