Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Höhle traten, funkelte die Sonne auf den Steinkanten. Der Abendwind pfiff durch die Schlucht wie durch eine Flöte. Ein Horizont wurde saphirblau, der andere gelb. Eine Zeitlang hing die mohnrote Sonne genau zwischen den Bergen. Dann sank sie flimmernd hinab, glitt hinter die Berge wie in den tiefen Schacht eines Brunnens. Die Nacht kam schlagartig und brutal, jedes Ding wurde anders. Ein Stern nach dem anderen tauchte auf; der leuchtende Punkt der Venus glühte fast gelb. Meine Phantasie war zugleich angeregt und verschwommen, ich erlebte verwirrende Sinnestäuschungen und benahm mich auch sonst merkwürdig überdreht. Hassenswerte Müdigkeit! Als wir am Feuer saßen, hob sich der Mond, noch nicht vollkommen rund. Er hatte eine seltsame Farbe, grünlichdunkel wie die Pupille einer Katze. Der Wind trieb kleine Sandwirbel vor sich her, pfiff und brauste und klingelte manchmal wie fernes Glockenspiel.
    »Das geht bald los«, murmelte Serge.
    Elias rauchte eine Zigarette und verneinte mit ruhiger Kopfbewegung.
    »Wir haben Zeit.«
    »Kein Sandsturm?«
    210
    »Noch nicht. Morgen abend, vielleicht…«
    »Woher weißt du das?«
    »Man kann es riechen, wie weit weg der Wind noch ist und wie stark er weht.«
    »Ich bin froh, daß wir es hinter uns haben«, gestand Rocco. »Der Ort gefällt mir nicht.«
    »Es ist ja unsere letzte Nacht hier«, hörte ich Serge sagen.
    Ein Schmerzgefühl durchzog mich; ich atmete tief. Wahrscheinlich mußte ich diesen Schmerz jetzt erleben. Ich schwieg, während die übliche Unterhaltung allmählich in Gang kam; Elias rauchte geistesabwesend. Der Widerschein der Flammen tanzte auf seinem weißen Gewand. Meine Augen, die hin und her irrten wie Nachtfalter, kehrten immer wieder zu seinem ruhigen Blick zurück.
    Wir tauschten nur ein paar Worte. Nach dem Essen, als wir das Lager verließen, wuchs die Schwere in mir, das Stummsein. Jeder Muskel war angestrengt und verkrampft. Ich ging mit gesenktem Kopf, Schritt für Schritt, im Bewußtsein, daß die Zeit bald abgelaufen war, daß jede Sekunde mich von ihm entfernte.
    »Du bist müde«, sagte Elias sanft. Er legte den Arm um mich. Ich versuchte zu lächeln und spürte, wie meine Zähne leicht aufeinanderschlugen.
    »Ja, sehr.«
    Er suchte eine geschützte Stelle unter der Felswand, breitete dort die Decke aus; ich sah teilnahmslos zu, wie er den Schlafsack ausrollte und dann wieder auf mich zukam. Wir blickten uns an. Plötzlich umschloß er mit beiden Händen meine Taille, hob mich leicht empor. Mit einem einzigen Schwung kauerte er sich nieder und legte mich auf den Boden.
    »Ich liebe dich«, sagte er.
    »Ja«, sagte ich.
    Er löste seinen Schesch und schüttelte den Kopf. Die Locken fielen ihm auf die Schultern. Elias’ Augen waren schwer und dunkel, ein schwacher Funken Mondlicht lag darin. Er umschlang mich mit beiden Armen, drückte mich an sich. Ich nahm seine Wärme in mich auf, verfolgte mit der Hand seine lange, biegsame Rückenlinie. Er roch nach Leder, nach Sand, nach warmer Baumwolle; mehr als alles andere liebte ich den Geruch seiner Haut. Und auf einmal kam mir Olivia in den Sinn, die dreißig Jahre nach Chenanis Tod nur deswegen mit anderen Männern schlief, um sich mit geschlossenen Augen an ihn zu erinnern. Olivia, die in verblaßten Bildern kramte, 211
    vor Sehnsucht blutete. Zum Heulen blöd. Man sollte lieber Neues versuchen. Aber was, wenn die Erinnerung so stark, so unerträglich wurde, daß es nicht anders ging? Ich sträubte mich dagegen. Ich wollte sie nie erleben, diese Erschütterung, und doch war es bald soweit. Der Punkt kam näher, an dem alles von neuem beginnen mochte. Wir hatten nur noch diese Nacht. Eine Nacht nur, denn in ein paar Stunden würde alles vorbei sein, und das machte es so unendlich kostbar. Gib mir diese Nacht, Elias, nimm auch du sie von mir. Es ist unmöglich, unvorstellbar, daß wir getrennt werden. Und trotzdem ist es so: Ich werde dich verlassen.
    Der Wind rauschte über die Felsen hinweg. Mir war, als hörte ich Wellen an verborgenen Küsten branden, langsam und gleichmäßig wie die Ewigkeit. Die Wellen hielten mein Leben gefangen, es schaukelte mit dem Wind auf und ab. Ich dachte an Chenani, und alles vermischte sich; es war wie ein Brunnen, der sich aus der Zeit heraus öffnete. Ich trauerte um die Jahre, die zwischen mir und ihm standen. Ein Gefühl, das ich bisher nicht hatte wahrhaben wollen.
    Jetzt wußte ich, daß ich mich selbst belogen hatte; nach nichts hatte ich mich so sehr

Weitere Kostenlose Bücher