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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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eigenen Kopf durchzusetzen. Und er hat ein paar Pläne.«
    Ich sprach zu ihr mit großer Distanz. Was ich sagte, drückte überhaupt nichts von dem aus, was ich empfand. Es war schon so, 224
    daß ich meine Gefühle nie richtig in Worten ausdrücken konnte. In Bildern, ja, das konnte ich gut. Meine Filme waren Ausdruck meiner Gefühle. Ich sagte zu Olivia:
    »Hast du Zeit? Ich würde dir den Film gerne zeigen. Elias kommt in ein paar Aufnahmen vor. Er hat uns sehr geholfen, weißt du. Ohne ihn hätten wir es kaum geschafft. Außerdem kennst du die Sahara besser als ich. Ich brauche ein paar Kommentare…«
    »Wozu? Es ist doch alles anders als früher.«
    Ich seufzte.
    »Könnte nicht schaden, wenn du wenigstens eine Erklärung versuchen würdest…«
    Ich hielt den Satz in der Schwebe. Es war eine Bitte, in möglichst neutraler Form und ohne Pathos vorgebracht. Aber Olivia hatte feine Ohren. Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen. Dann sagte sie:
    »Vielleicht kann ich für ein Wochenende kommen. Wann wirst du fertig sein?«
    Mir wurde plötzlich schummrig im Kopf. Ich konnte das Gefühl nicht deuten. Etwas Neues kündigte sich an, das war alles.
    »In zehn Tagen. Wir sind beim Mischen, was ziemlich langweilig ist. Der Kommentar ist schon geschrieben, ich muß ihn nur noch sprechen.«
    »Welche Musik hast du gewählt?«
    »Ich habe in Algerien ein paar Kassetten gekauft. Außer einem Flötenlied finde ich nichts Passendes.«
    »Hast du eine andere Idee?«
    »Dvorak, vielleicht, die ›Neue Welt‹. Das Largo, du weißt schon.
    Oder Brückner, die ›Toteninsel‹.«
    »Wie kommst du ausgerechnet auf die ›Toteninsel‹?«
    Was für eine Frage, dachte ich verwirrt. Ich schloß die Augen und schüttelte den Kopf.
    »Der Film dauert vierzig Minuten, Olivia. Und ich glaube nicht, daß es mehr als zehn Minuten Musik gibt.«
    Sie schwieg abermals. Dann, mit merkwürdiger, etwas zitternder Stimme:
    »Die Sahara ist etwas Schönes. War sie.«
    Wir machten ab, daß ich sie anrufen würde, sobald ich die endgültige Kopie hatte. Am nächsten Tag saß ich im Mischraum, spulte den Film Meter um Meter ab. Neben mir saß Isabelle, die Lichtregisseurin. Vor sich hatte sie einen Apfel, eine Rolle Pfefferminzbonbons und einen Notizblock. Isabelle würde sich 225
    Notizen machen, Rolle für Rolle, mit Hilfe des Zählers. Sie sah sofort, ob eine Einstellung zu dunkel oder zu hell war. Sie liebte Perfektion und schimpfte, wenn die Einstellung nicht gestochen scharf war: Hier war zuviel Kontrast, da zuwenig, das war zu unscharf und so weiter. Isabelle kannte die Wüste in Tunesien. Sie sagte, der Sand sei so nuancenreich, daß man es mit bloßem Auge kaum wahrnahm.
    »Gelb«, murmelte Isabelle, »das ist doch langweilig, wir müssen da Variationen einbringen. Das Licht verändert sich ja jeden Augenblick.«
    Nach ein paar Stunden war Isabelle mit der Arbeit fertig, sie malte sich vor dem Spiegel die Lippen rot an, kaute einen Apfel. Ich brachte sie mit dem Wagen nach Saint-Germain-en-Laye. Wieder in ihrem Büro, würde sie vor einem computergesteuerten Farbanalysiergerät sitzen, das Negativ in die Maschine eingeben und ein positives Bild des Films auf dem Bildschirm sehen. Ihr Farbgefühl war ganz erstaunlich. Sie hatte gleich begriffen, was ich visuell erreichen wollte. Sobald die Kopie fertiggestellt war, sahen wir sie uns gemeinsam an. Wir verbesserten einiges und machten eine zweite Kopie. Die dritte war dann die richtige.
    Jetzt galt es nur noch, die Tonspur auf dem Magnettonband zu übertragen. Ich fürchtete immer wieder um den Verlust der Tonqualität, aber – wie stets – waren meine Ängste unbegründet.
    Ton, Licht und Kommentar paßten perfekt zueinander. Und die
    »Toteninsel« war als musikalischer Schlußpunkt genau das, was ich empfand.
    »Der Weg des Windes« hieß der Film – mein Film. Und ich hatte mich mit aller Kraft bemüht, die Dinge zu inszenieren, die ich gesehen hatte, damit andere sie auch so sehen konnten – damit sie die Dinge sehen konnten wie nie zuvor. Dabei hatte ich mehr aufs Spiel gesetzt, als ich mir eingestehen wollte. Ich rief Enrique an.
    »Komm!« Enrique brachte Thuy mit. Sie hielt einen großen Strauß Sonnenblumen an die Brust gedrückt.
    »Ich hab sie dir mitgebracht, weil du wenig Sinn dafür hast…«
    Thuy konnte ohne Blumen nicht leben. Ich küßte sie; auf ihrem T-Shirt lag gelber Blütenstaub. Serge kam atemlos und wütend im letzten Augenblick – ein Flic hatte ihn erwischt,

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