Wuestenmond
als er falsch parkte.
Rocco kam nicht, er hatte von der Wüste genug und arbeitete bereits an einem anderen Projekt.
Gemeinsam sahen wir uns die Kopie an. Zum ersten Mal lief der 226
Film in seiner Originalfassung. Und es war nicht irgendein Film. Die Welt, die er zeigte, ging mir nahe. Es ist schon so, daß man jeden Film, den man selbst gedreht hat, wie ein Meisterwerk empfindet.
Selbsttäuschung, künstlerische Eitelkeit? Vielleicht. Aber hier war mehr. Rein technisch waren die Sequenzen gelungen; sogar die Bilder von den Schildkröten, die wir am letzten Tag unter schwierigen Lichtverhältnissen gefilmt hatten, waren eindrucksvoll.
Enrique hatte großartige Arbeit geleistet. Der Film hatte glühende, etwas morbide Farben, die mich verwirrten. Die Wirkung der Bilder war beunruhigend; unter der Oberfläche knisterte es vor leidenschaftlicher, verhaltener Energie. Jeden Moment konnte etwas losgehen, und doch geschah nicht viel; es war ja ein Dokumentarfilm. Als er vorbei war, stellten wir die üblichen Fragen.
Funktionierte der Anfang, das Ende? Hatte es uns gefallen? Waren wir gerührt? Nein, wir waren betroffen. Wie war das möglich?
Enrique fand einen Ausdruck dafür:
»Was du gezeigt hast, Tamara, ist die ästhetische Umsetzung der Verzweiflung.«
Ich fühlte so etwas wie Leere in mir, eine Art Übelkeit. Ich wußte, daß die blassen Gespenster der Molche mich mein Leben lang verfolgen würden. Ich lächelte matt.
»Ich wollte nichts erzwingen.«
»Also gibst du es zu?« fragte Serge.
Es regnete in Strömen, als ich spät abends mit einem schalen Geschmack im Mund den Schlüssel in das Schloß meiner Wohnungstür steckte. Wir hatten im Chez Pento Austern gegessen, und ich hatte zuviel Wein getrunken. Die Sonnenblumen waren schon verwelkt. Ich holte eine Vase, steckte die Blumen hinein. Die Putzfrau hatte die Post auf meinen Schreibtisch gelegt. Der zerknitterte Luftpostumschlag lag zwischen einigen Rechnungen. Es stand kein Absender drauf, aber ich sah den Poststempel und wußte Bescheid.
»Ich weiß, daß Deine Arbeit Dich voll in Anspruch nimmt«, schrieb Elias. »Eigentlich sollte ich Dich in Ruhe lassen, aber das Herz ist mir schwer. Zuerst muß ich Dir danken. Manchmal glaube ich, daß ich Dich nicht genügend fühlen ließ, wie glücklich Du mich gemacht hast. Die Begegnung mit Dir hat mir klargemacht, daß ich mein Leben lang von Frauen geformt und erzogen worden bin und die Welt durch sie entdeckt habe. Die islamische Männerwelt ist absurd.
Aus der ganzen geschwollenen Ethik der Verhüllung und Keuschheit 227
der Frau spricht kein Funken Prestige, nur Feigheit. Die Männer demonstrieren in selbstherrlicher Tugend, daß sie der Anblick einer Frau in brünstige Tiere verwandelt. Was für eine verlogene Welt haben sie um sich geschaffen! Ich bin in dieser Welt hinter Gitterstäben gefangen, sehe blühende Wiesen und kann sie nicht erreichen. Ich möchte Dich so gerne Wiedersehen, aber die Entscheidung liegt nicht bei mir. Glaubst Du, daß Du und ich am Ende ein gemeinsames Schicksal haben werden? Wenn nicht, würde ich versuchen, nicht mehr an Dich zu denken. Und darüber hinaus?
Ich nehme an, meine Eitelkeit wäre verletzt. Wie dem auch sei – Du wirst entscheiden, und ich werde mich fügen.
Einstweilen bin ich bei Zara und versuche, ihr das Leben ein wenig erträglicher zu machen. Es geht ihr nicht gut, sie dämmert die meiste Zeit vor sich hin. Etwas muß ich Dir sagen: Manchmal ertappe ich mich dabei, daß ich Dich mit Amenena vergleiche. Das ist seltsam, denn Ihr seht Euch nicht ähnlich und habt auch sonst wenig gemeinsam. Ich suche nach einer vernünftigen Erklärung und finde sie darin, daß Ihr beide von Geburt aus freie Menschen seid. Nicht alle haben dieses Privileg – Du weißt es wahrscheinlich selbst nicht.
Darum laß es zu, daß ich es Dir sage.
Mir fällt ein Gedicht ein:
›Schmerzen kommen und gehen,
überfluten mein Herz.
Nur sie ist diese Schmerzen wert.
Sehe ich den Mond – da ist ihr Bild vor mir.
Ich bin einsam und warte,
Hier, im fernen Land…‹
Wir haben im Tamahaq einen typischen Rhythmus. Übersetzt in Französisch klingen die Verse stümperhaft; es tut mir leid. Aber meine Gefühle sagen Dir alles. Und so warte ich und sorge mich nicht um die Zukunft. Tu, was Du willst, und alles wird gut werden.«
Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Augen. Wir hatten das Wort Liebe gebraucht, ein- oder zweimal, mit einem bitteren Unterton. Das Wort
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