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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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die großen Schilfseribas. Ich hörte das Bellen der Slugi, jener hochbeinigen, eleganten Windhunde, die die Tuareg früher als Jagdhunde verwendet hatten. Das Lager war groß, voller Leben, der Rauch stieg von den Feuerstellen hoch, es duftete nach Minztee. Halbwüchsige führten Kamele zur Tränke. Beim leichten Schaukeln der Sättel zeichneten sich ihre biegsamschlanken Gestalten am Himmel ab. Die Frauen gingen wie Königinnen, die Männer waren in Weiß oder leuchtendes Blau gekleidet. Die Stimmen waren weit herum zu hören. Und alle lachten und schauten der schmalen Frau im roten Minirock zu, die dicht hinter ihrem blonden Kind herlief, um es bei einem Sturz abfangen zu können.
    Aber das kleine Mädchen war nie hingefallen. Es wäre nicht einmal auf die Idee gekommen. Die Erinnerungen kamen wie Wellen, jede Welle ein Augenblick meiner Kindheit. Ich war nicht mehr ich selber, ich war gestorben und wiedergeboren, so wie wir mehrere Male sterben vor unserem Tod, um zu neuem Leben zu erwachen.
    »Elias?« flüsterte ich.
    Ich hatte lange geschwiegen; meine eigene Stimme kam mir seltsam vor. Er legte seine Hand auf die meine.
    »Ja. Woran denkst du?«
    Ich holte tief Atem. Ich brachte die Worte nur stockend hervor.
    »Elias… ich möchte die Wüste erleben, wie sie früher war. So wie Olivia sie gekannt hat. Aber solche Orte, solche Menschen, die gibt es nicht mehr. Es ist doch so, oder? Sag mir die Wahrheit, Elias!«
    Er nickte ernst.
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    »Solche Orte… solche Menschen gibt es… noch einige. Wir werden sie finden.«
    »Auch wenn sie nur eine Illusion sind, eine Fata Morgana?«
    »Auch dann.«
    »Und Amenena?«
    »Ich führe dich zu dir. Wenn du willst.«
    Die Zärtlichkeit nahm mir den Atem; das Verdorrte, Starre, Störrische in mir wurde weich und geschmeidig; ja, ich konnte wieder Kind sein, Olivias glockenhelles Lachen hören; ich konnte Chenani sehen, der mich an die Hand nahm und mir so viele Dinge über die Wüste, die Menschen und die Tiere erzählte. Ich wollte alles sehen, hören, fühlen. Was ist das? Und was das da? Chenani hockte sich auf die Fersen, um mir eine Blume oder ein Insekt zu zeigen. Er trug Jeans, einen gelben Pullover mit kleinen Metall-Agraffen am Kragen, daran erinnerte ich mich auf einmal ganz deutlich. Den Kopf hielt er leicht schräg oder nach hinten; das gab ihm das Aussehen eines scheuen, mißtrauischen Hirsches. Ein Eindruck, der noch durch die raschen und trotzdem weichen Bewegungen betont wurde. Er sah aus wie ein Jüngling, der zu rasch gewachsen war und noch die ganze Verletzlichkeit der Kindheit in sich trug. Aber ich wußte, wie sehr der Schein trog. Er war ein Mann; Sanftheit zu zeigen war für ihn kein Zeichen von Schwäche. Olivia hatte ihr Leben in seine Hände gegeben; er hielt es behutsam und voller Achtung, wie er einen Schmetterling gehalten hätte. Ich war fasziniert von seinem Gesicht, das fast mein eigenes war, kantiger nur, mit einem leicht vorspringenden Kinn und einem reizenden Lächeln.
    »Ich wußte, daß du zurückkommen würdest«, hörte ich Elias sagen.
    »Ich habe es immer gewußt…«
    Ich wandte mich von meinem Vater ab und sah Elias’ Gesicht, vom Mondschein matt erhellt. Eine Weile sah ich ihn regungslos an; dann neigte ich mich zu ihm und küßte ihn.
    »Wie konntest du es wissen?«
    »Ich habe es in meinem Herzen gefühlt.«
    Seine Lippen waren kalt; doch sein Mund war warm – warm wie das Leben.
    »Trau mir nicht zuviel zu, Elias. Ich bin unzuverlässig.«
    »Ich warte auf dich. Ich habe Zeit. Ich werde bei Zara wohnen und auf dich warten.«
    »Das ist sehr töricht.«
    Er kniff leicht spöttisch die Augen zu.
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    »Meine Gefühle für dich sind sehr töricht, ich weiß.«
    Ich sagte:
    »Also, jetzt hör zu. Ich werde dir keine Nachricht geben, bevor ich nicht etwas Endgültiges entschieden habe, so oder so.«
    »Eine Frau tut immer, was sie will.«
    »Elias, du strapazierst mich!«
    Der Mond glitt durch die Sternenschleier. Die Dunkelheit war heller als zuvor. Diese nächtliche Helligkeit ließ auf der Oberfläche des Sandes ein Flimmern von silberweißen Wellen spielen. Ich blinzelte verschlafen. Die Wüste lag im Sterben, aber ich mußte die Bilder von früher bewahren. Es mochte ein großer Trost sein, wenn ich diese Bilder nicht als Verlust, sondern als Hoffnung sah. In diesem Fall, und auch sonst, konnte ich es mir wohl leisten, Gefühle zu zeigen.
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22. Kapitel
    Ü ber Paris lagen Nebelfelder. Das Flugzeug landete, von

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