Wuestenmond
eine Sequenz so bedeutungsvoll oder schön, daß selbst ich von der Darstellung gefangen war. Irgendwie war ich in diesen Bildern drin, das passierte immer wieder. Enrique und Thuy kamen ein paarmal, und wir arbeiteten zusammen. Es stellten 222
sich die unterschiedlichsten Assoziationen ein, so daß ich den Durchbruch meiner Gefühle ständig kontrollieren mußte. Die Art, wie sich Elias bewegte, wie er auf seinem Mehari ritt, durch den Sand schlurfte (die Tuareg heben kaum die Füße vom Boden, sondern benutzen ihre Sandalen fast wie ein Rutschbrett), wühlte mich auf.
Ich hatte zwei sehr lange Einstellungen von ihm: Die erste war, als er uns zum ersten Mal auf seinem Mehari entgegenritt. Am Anfang war nur ein ferner dunkler Strich am Horizont zu erkennen. Der Strich wogte auf und ab, trennte und vereinigte sich wieder in den Luftspiegelungen, bis der Reiter in Sicht kam, sich der Kamera näherte. Es war ein wunderbares Stimmungsbild; ich wollte, daß der Film mit dieser Einstellung begann. Und ebenso hatte ich Elias beim Abschied gefilmt, denn er hatte seinen Falben gesattelt und war vor uns aufgebrochen, um die kühlen Morgenstunden, la bonne heure, wie die Menschen der Sahara sagen, zu nutzen. Erhaben in seinem weißen Gewand, den Schesch wie das Visier eines Helms über die Brauen herabgezogen, hatte er jedem von uns die Hand gereicht.
Mich jedoch – die Filmende – hatte er nur angesehen, und der Blick seiner graugoldenen Augen in Großaufnahme traf mich mit voller Wucht. Dann hatte er sich in den Sattel geschwungen. Eine Berührung der Reitgerte, der Falbe warf den großen Kopf nach hinten, streckte die Beine, erhob sich. Durch Fersendruck setzte Elias das Tier in Trab. Und mit der unnachahmlichen Eleganz der Tuareg warf er die Falten seiner Gandura über die Schulter zurück, hob die Hand zum Abschied. Alle winkten; nur ich stand da und filmte.
Schon hatte Elias eine Volte gedreht; sich mit sanftem Klingeln der Kupferschellen entfernt. Er verschwand nicht plötzlich, nein. Er verschmolz mit den Staubschleiern, mit dem uferlosen Blau des Himmels, noch weiter, außerhalb der Geographie, jenseits aller Träume.
Wie oft sah ich mir diese Sequenzen an? Ich konnte es nicht sagen.
Elias kam und ging, so oft ich wollte. Ich hätte eigentlich imstande sein müssen, seinen Anblick zu ertragen. Aber die Sehnsucht fiel mich an: eine flirrende Hitze, ein Pochen im Unterleib. Es waren Augenblicke, in denen ich meinen Beruf haßte. Mich erfüllten solche Gefühle mit Gereiztheit, weil sie meiner spröden Art Hohn sprachen.
Das Ganze kam mir fast wie ein Naturereignis vor, wie ein Wüstenkoller im wahrsten Sinne des Wortes. Ich wollte nicht an dem Wort Liebe hängen, von ihm abhängen. Als wenn ich mich wie eine 223
dumme Halbwüchsige in eine Filmfigur verliebt hätte. Zum Heulen dämlich. Ich hatte wieder angefangen zu rauchen; ein schlechtes Zeichen. Irgendwie mußte ich heraus aus diesem Loch. Ich rief Olivia an, ohne zu überlegen, daß sich mein Zustand dadurch nicht bessern würde.
»Tammy, wann bist du gekommen?«
»Vor einer Woche. Wir arbeiten im Schneideraum. Es gibt viel zu tun.«
»Hast du Zara gesehen? Wie geht es ihr?«
Ich hatte genau gewußt, daß es ihre erste Frage sein würde. Meine Haut fühlte sich plötzlich klamm an. Ich wischte mir übers Gesicht.
»Ja, ich war bei ihr…«
Sie sagte kein Wort, wartete. Ich schluckte:
»Es geht ihr eigentlich gut. Hör zu, Olivia, ich muß dir etwas sagen.
Aflane lebt nicht mehr. Er… er wurde im Gefängnis umgebracht.«
Sie war einen Augenblick still. Dann sagte sie:
»Ich habe es mir gedacht.«
»Er wurde gefoltert, Olivia!«
Ich spürte, wie sie den Atem anhielt.
»Hast du erfahren, warum?«
»Er hat sich in irgendein krummes Ding mit Ghaddafi eingelassen.
Er schmuggelte Waffen über die libysche Grenze.«
»Waffen für die Rebellen?«
»Ja.«
»Woher weißt du das? Von Zara?«
»Nicht von Zara, nein. Ich habe Elias getroffen. Rein zufällig.«
Olivias Stimme klang vorsichtig und ruhig.
»Was macht er jetzt?«
Warum hatte ich solches Herzklopfen? Ich hielt die Nase gegen meine Schulter und beroch meine Haut. Sie roch nach Chemikalien und aufdringlich süß auch nach Tabakrauch. Ich mochte diesen Geruch nicht.
»Er wollte in die Politik, aber nach der Geschichte mit Aflane wurde nichts daraus.«
»Das ist klar. Und was sonst noch?«
Mein Gesicht wurde heiß.
»Was er sonst noch gemacht hat? Nun, er hat sich daran gewöhnt, den
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