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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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fuhr leicht zusammen.
    »Wie kommst du darauf? Im Film ist er verschleiert.«
    »Wenn du bei den Tuareg gelebt hättest, würdest du wissen, daß sie einen Mann nicht an seinem Gesicht, sondern am Gang und an der Haltung erkennen. An der Form seiner Hände, an den Gesten, an der Art, wie er sich kleidet. Und natürlich auch an seinen Augen. Elias hat die gleichen Augen wie Chenani.«
    Ihre Stimme verriet ein wenig von der Geringschätzigkeit, die gewisse Menschen bei der Erinnerung an Dinge zu überkommen 232
    pflegt, die sie einst miterlebt haben. Ich sagte:
    »Ich war eben nicht lange genug da.«
    Sie wandte das Gesicht ab und hustete; ich hatte vergessen, daß sie Rauch nicht vertragen konnte, und drückte schuldbewußt meine Zigarette aus. Sie schaute mich wieder an.
    »Warum hast du nicht schon früher angerufen? Die Sache mit Aflane, die ging mir im Kopf herum. Ich konnte deswegen nicht schlafen. Besonders jetzt, wo ich keine Tabletten mehr nehmen will.
    Und sag’ mir gefälligst nicht, daß du zuviel zu tun hattest.«
    Ich wich ihrem Blick aus.
    »Ich wollte dir keinen Kummer machen.«
    »Das war sehr unfair.«
    »Es tut mir leid.«
    Sie hob tadelnd die Brauen.
    »Du bist immer noch überzeugt, daß du die anderen besser kennst als diese sich selbst. Bildest du dir ein, daß das in Ordnung ist?«
    »Nein«, sagte ich schwach.
    »Du mußt mir mehr erzählen.«
    »Ach, Olivia, er ist doch tot.«
    »Ich will alles wissen.«
    Ich erzählte also; der ganze Horror tat mir weh im Kopf. Ihre Augen ließen nicht von mir ab. Ich konnte sehen, wie es in ihrem Gehirn arbeitete. Ihre Lippen waren fest geschlossen. Sie wollte mir nicht widersprechen, aber ich sah, daß sie dachte, ich könnte mich irren.
    Sie verstand diese Dinge besser als ich. Als ich alles erzählt hatte, verweilte sie einen langen Augenblick, ohne zu reden, den Blick auf den Boden gerichtet. Es war die Wahrheit, eine Wahrheit, die sie erkannte. Dann hob sie ihre Augen, die wirklich noch sehr schön waren, und sah mir ins Gesicht.
    »Aflane konnte gar nicht anders handeln, verstehst du? Gefahr hin und Gefahr her, es war eine Ehrensache.«
    »Ja, ich weiß.«
    Sie hob beide Hände an ihre Schläfen, als ob sie ihr Haar ordnen wollte. Früher hatte sie die gleiche Geste gehabt.
    »Würdest du mir bitte etwas Wasser geben?«
    Neben dem Raum war eine kleine Kochnische. Ich füllte ein Glas und brachte es ihr. Sie trank in einem Zug aus.
    »Was will er eigentlich?«
    Ich starrte auf den Aschenbecher und unterdrückte das heftige Verlangen, eine Zigarette anzuzünden.
    233
    »Wer? Elias? Er will eine Schule gründen.«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Was für eine Schule?«
    »Eine Schule für Nomadenkinder.«
    Sie sah mich abwartend an. Mir fiel es schwer, Elias’ Gedanken auszusprechen. Die Tuareg waren nicht weit weg, nicht fremd und nicht erfunden. Zwischen ihnen entsteht ein Band, das stärker ist als fast alles andere. Ich gehörte nicht dazu. Auf Elias’ Gedächtnis war ohnehin mehr Verlaß. Mir hatte man nicht viermal am Tag den Kopf in den Staub gedrückt. Mich nicht in Einzelhaft gesteckt. Und mir auch nicht die Knochen gebrochen.
    »Er will die Kinder von den Internaten fernhalten, von diesen Zuchthäusern. Die Lehrer sollen zu den Tuareg kommen, nicht umgekehrt. Die Schule soll ein Zelt sein, das man auf einen Esel packt und beim nächsten Wasserloch wieder aufstellt. Elias wird Schulbücher in Tifinagh drucken lassen. Er will, daß die Kinder ihre Kultur gegen die Arabisierung verteidigen. Er strebt eine inhaltliche, eine ideologische Auseinandersetzung an. Dazu braucht es Menschen, die wissen, wer sie sind, und die sich in der Welt zurechtfinden. Die Tuareg wollen wieder frei sein – frei zu reisen, frei zu arbeiten, frei, zu denken und zu sprechen und den Glauben ihrer Ahnen auszuüben. So ungefähr stellt sich Elias das vor.«
    Sie starrte mich an.
    »Ist das alles?«
    »Ist das nicht genug?«
    »Sie werden ihn natürlich dafür umbringen.«
    Ich griff mir an den Hinterkopf, es überlief mich kalt.
    »Das ist mir schon klar.«
    »Es geht mir an die Nieren«, sagte sie.
    Ich zitterte innerlich.
    »Hältst du ihn für verrückt?«
    »Ich halte ihn für völlig durchgedreht.«
    »Scheiße!« murmelte ich. »Ich habe Angst um ihn.«
    »Die kannst du auch haben. Mir scheint, du hast ein Problem mit ihm.«
    Ihre Stimme klang sanft und sarkastisch. Ich war in eine Art Trance verfallen. Der Raum verschwamm vor meinen Augen. Es war abscheulich. Ich nahm

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