Wuestenmond
mich zusammen.
»Bevor ich Algerien verließ, sind wir… haben wir über vieles geredet. Er wollte, daß ich ein paar Tage mit ihm verbringe. Zuerst 234
wollte ich nicht. Dann habe ich es mir anders überlegt. Dinge von früher kamen mir wieder in den Sinn.«
»Sprich nur weiter.«
Ich holte gepreßt Atem.
»Ich glaube, ich werde es tun.«
»Eines würde ich gerne wissen«, sagte sie. »Ob du ihn liebst.«
Sie konnte nicht nur gemein, sondern auch ekelhaft neugierig sein.
Ich antwortete widerstrebend.
»Das ist nicht so leicht gesagt.«
»Nimm dir Zeit.«
Ich sagte mit schwacher Stimme:
»Darf ich rauchen?«
»Draußen, ja. Hier nicht. Ich habe empfindliche Bronchien.«
Ich seufzte, schob den Aschenbecher über den Tisch.
»Also gut. Ich habe darüber nachgedacht. Du kannst es Liebe nennen. Aber der Fall ist verzwickter als damals bei dir.«
Sie lächelte.
»Wie kannst du das beurteilen?«
Schon wieder ihre verdammte Überheblichkeit! Ich faßte meine Antwort zusammen.
»Ich habe mein Leben hier, er hat sein Leben dort. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Tu, was du willst.«
Elias hatte nichts anderes gesagt. Ich fuhr mit den Händen über mein Gesicht.
»Ich setze nicht alles wie du auf eine Karte.«
»Du handelst konsequent. Du bist erblich belastet.«
Vor lauter Qualen hatte ich Halsschmerzen. Vielleicht hatte ich mich auch erkältet. Ich war immer zu leicht angezogen, trug keine Rollkragenpullis, nur T-Shirts, auch im Winter. Ich sagte:
»Der Film ist fertig. Ich kann mir zwei Wochen Urlaub nehmen.
Elias wartet auf mich in Tarn. Ich muß herausfinden, was er für mich bedeutet. Meine Gedanken kreisen immerzu nur um ihn. Das ist sehr ungesund. Nach einer Weile ist jeder Mann so ziemlich wie der andere.«
Ein Schimmer von Ironie funkelte in ihren Augen.
»Es gibt immerhin Ausnahmen.«
»Und noch etwas. Elias spricht oft von seiner Mutter. Sie lebt in Adrar. Ich möchte sie sehen.«
»Amenena?«
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»Ich habe ein paarmal von ihr geträumt. Elias sagt, daß sie mir Zeichen schickt. Er sagt oft solche Dinge. Es hört sich irgendwie verrückt an. Warum lachst du? Ist was komisch?«
»Aber nein. Oder doch, ja. Wann gehst du?«
»Ich denke, Ende des Monats.«
Sie blickte vor sich hin, geistesabwesend.
»Du könntest mir mal eine Postkarte schreiben. Ausnahmsweise.«
»Das werde ich tun.«
»Und sag Elias…«
Sie sprach nicht weiter. Entgeistert starrte ich sie an; sie war plötzlich wie verwandelt, ich kannte sie nicht wieder. Ihre Halsmuskeln zitterten, ihre Lippen bewegten sich, als ob sie nicht die richtigen Worte fand. Ihre Züge hatten alle Gelassenheit verloren, drückten Gefühle aus, die ich nicht verstand.
»Ja, Olivia? Was soll ich Elias sagen?«
Sie legte ihre Hände übereinander und preßte sie so stark zusammen, daß die Fingerglieder knackten.
»Sag ihm, wenn er eine Lehrerin braucht… ich werde kommen!«
Ich ließ die Augen nicht von ihr. Die Bedeutung ihrer Worte drang nur langsam in mein Bewußtsein. Ich rang vergeblich danach, einen Satz zu bilden, irgendeinen Satz. Mein Mund war ausgetrocknet.
»Du willst…«
Sie nickte ein paarmal heftig.
»Ja, ich will wieder unterrichten. Das ist eine Sache, die ich kann.
Das habe ich schon früher gemacht, mitten in der Sahara. Das Tifinagh muß ich wieder üben, aber die Sprache habe ich nicht verlernt. Ich werde ein paar Dinge mitbringen und sie den Kindern zeigen.«
Atemnot hinderte sie daran weiterzusprechen. Ihre Nerven schienen wieder aufs äußerste gespannt. Ich sagte rauh:
»Olivia… du bringst mich zum Weinen.«
Sie hob den Blick; sie lächelte in einer Mischung aus Herausforderung und Ironie.
»Sei froh, daß ich wieder was vorhabe. Sieh mal, ich habe es schon lange satt, Geigenstunden zu geben. Simon kommt nicht mehr, und meine neue Schülerin macht mir keine Freude.«
Ich schluckte schwer.
»Olivia, ich möchte wissen…«
»Was wissen?«
»Was brachte dich…«
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»Das ist nicht deine Sache. Oder vielleicht doch. Irgendwann muß man mit der Vergangenheit Schluß machen. Das Neue sehen. Die Erinnerung ist weiter da, die bleibt, sie vergeht nicht. Man kann sie immer wieder hervorholen. Als Trost, nicht mehr als Schmerz. Ich habe lange gebraucht, um mich davon zu überzeugen.«
»Hätte ich das gewußt…«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nichts zu wissen war besser. Etwas stimmte nicht mehr mit mir.
Aber Pflichtbewußtsein hat man oder man hat es nicht. Elias braucht mich jetzt, und
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