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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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konnte ich nicht erkennen: Er trug eine Sonnenbrille in der sogenannten »Schmetterlingsform«, wie amerikanische Filmstars sie tragen. Daran erkannte ich, daß es keine Vision war, sondern eine Erinnerung, und lachte.
    »Ja, ich entsinne mich. Er trug eine Sonnenbrille.«
    »Ach, das weißt du noch?«
    Elias kicherte hinter seinem Schleier.
    »Er hatte eine ganze Sammlung. Jeder Besucher brachte ihm eine mit, möglichst extravagant mußte sie sein. Übrigens war es nicht nur Eitelkeit. Er war zuckerkrank und hatte empfindliche Augen. Im 300
    Laufe der Jahre verschlechterte sich sein Zustand. Bei seinem Tod war er nahezu erblindet.«
    »Was war er für ein Mensch?«
    »Kraß ausgedrückt – er war käuflich. Die algerische Regierung gab ihm Geld, damit die Tuareg sich ruhig verhielten. Mein Vater sagte, daß er alles Geld unter sein Bett stopfte. In Schuhschachteln von Bally.«
    »Hatte er denn ein Bett?«
    Elias grinste.
    »Junge Leute schliefen auf dem Boden, aber ältere Menschen und hochgestellte Persönlichkeiten besaßen hölzerne Ruhebetten, mit einem Schilfrost. Von Zeit zu Zeit sieht man noch eins im Museum.
    Wie dem auch sei, Hadj Bey – er hatte die Pilgerreise nach Mekka aus Opportunismus gemacht – war nicht der Mann, den wir brauchten. Er zögerte vor wichtigen Entscheidungen, schwankte zwischen Eigensinn und Ratlosigkeit. Das führte zwischen den Stämmen zu Uneinigkeiten, die auf lange Sicht schwere Folgen hatten. Nach dem unglücklichen Versuch, eine OCRS zu verwirklichen, waren wir der algerischen Regierung ein Dorn im Auge. Dann starb Hadj Bey, und mein Vater sollte die Nachfolge antreten. Die Regierung verhinderte – wie du weißt – die Wahl. Die Tuareg sollten diszipliniert, ihre Weidewanderungen kontrolliert werden. In einem offiziellen Schreiben, das ich zu Gesicht bekam, hieß es: ›Ihre Freiheit kommt uns teuer zu stehen. Ihr Elend gereicht uns zum Vorteil‹. Für die Tuareg war der Regierungsbeschluß eine Art Kriegserklärung. Der Gedanke, sich vom algerischen Staat zu lösen, flackerte erneut auf; obwohl mein Vater zu diesem Zeitpunkt dagegen stimmte. Aber die Algerier hatten Wind von der Sache bekommen; auch wir haben unsere Verräter.«
    Elias schlug mit der Reitgerte durch die Luft.
    »Ich war acht Jahre alt, als es geschah. Vor Tagesanbruch umzingelten Militärfahrzeuge das Lager. Die bis an die Zähne bewaffneten Soldaten schreckten die Bewohner aus dem Schlaf. Man durchsuchte die Seribas, fand Gewehre und Munition. Alle jungen Männer wurden festgenommen. Dann mußten die Tuareg ihre eigenen Seribas in Brand stecken.«
    Wir holten beide zu gleicher Zeit Atem. Elias fuhr fort:
    »Die Verschwörer wurden verhört; einige kamen hinter Gitter, andere wurden zum Militärdienst einberufen. Gemessen an dem, was ich später erleben sollte, waren die Sanktionen milde. Damals waren 301
    wir noch eine politische Macht; die Algerier faßten uns behutsam an, wie tickende Zeitbomben. Die Behörden stellten uns Unterkünfte zur Verfügung: Zweck der Sache war, unsere Seßhaftmachung zu beschleunigen. Zwei Fliegen mit einer Klappe.«
    Es ging mir durch und durch. Wehmütig und neidisch dachte ich an Olivia, die noch Zugang gehabt hatte zu dieser verwunschenen Welt; jene Welt, die für mich auf ewig unerreichbar war. Aber das Rad der Zeit ließ sich nicht zurückdrehen. Das alles war Vergangenheit, Geschichte, vielleicht schon Legende. Ich spürte Wut in mir, eine merkwürdige blinde Wut, die explosionsartig hochstieg und bald wieder verflog. Diese Wut nützte keinem etwas. Vielleicht, dachte ich, kann ich sie in Energie verwandeln.
    »Seit der Räumung des Lagers«, sagte Elias, »komme ich nur selten hierher. Ich sehe noch immer die brennenden Seribas und den Qualm. Sogar den Geruch habe ich in der Nase. Und ich erinnere mich auch, daß ich Angst hatte, mich an Amenena drängte und mein Gesicht in ihrem Kleid verbarg. Sie aber machte sich sanft von mir los.
    ›Sieh es dir an, Elias‹, sagte sie ruhig. ›Sieh es dir gut an und vergiß es nie.‹«
    Ein längeres Schweigen folgte, das ich mit einem Seufzer brach.
    »Ich danke dir, daß du mir das alles erzählt hast.«
    »Du warst weit weg von daheim.«
    »Es war gut, daß ich hier war. Aber ich will diesen Ort nicht noch einmal sehen.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Das wird auch nicht mehr nötig sein. Enda uet! – gehen wir.«
    Als sich die Tiere in Bewegung setzten, zerdrückten ihre Sohlen einige Tonscherben. Wind kam auf; von den

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