Wuestenmond
für frisches Wasser oder Buttermilch befestigt. Aber Milch schien hier kaum vorhanden, denn die Schläuche hingen schlaff herunter. Wie armselig, abgenutzt, verkommen das alles war! Ich zog meine Turnschuhe aus und trat auf Socken in die Seriba. Es war angenehm kühl, denn die beiden Eingänge sorgten für Durchzug. Die anbrechende Dunkelheit verhüllte gnädig das Elend und die Ärmlichkeit der Behausung. Die Seriba wurde durch Holzstangen gestützt, der Boden war mit sauberem Sand bedeckt. Doch die Decken waren zerschlissen und die Ledertaschen, die an den geschnitzten Pfosten hingen, waren verhärtet und brüchig.
Als sich meine Augen an das Helldunkel gewöhnt hatten, sah ich in einer Ecke eine Anzahl Gepäckballen aus Mattengeflecht und einen wunderschön gearbeiteten Kamelsattel stehen. Die sehr hohe Rückenlehne war mit karminfarbenem Leder überzogen und mit Kupferbeschlägen sowie bunten Fransen, die ganze Büschel bildeten, 318
verziert. Ich strich mit der Hand darüber und suchte Sakinas Blick.
Meine Bewunderung war ihr nicht entgangen.
»Der Sattel gehört mir. Ich habe ihn von meinem Vater. Es ist ein Männersattel; für Frauensättel habe ich nie etwas übrig gehabt.
Manchmal leihe ich ihn meinem Alten, damit er eine gute Figur macht. Ich kann zur Not auf einem Esel reiten. Aber ein Mann auf einem Esel sieht einfach lächerlich aus!«
Ich lachte. Sie lachte auch; ihre Schneidezähne standen eine Winzigkeit vor, was bei den Tuareg als Zeichen von Schönheit gilt.
»Es ist das erste Mal«, sagte ich »daß ich eine Seriba betrete. Seit ich ein kleines Kind war, meine ich.«
»Die rechte Seite der Seriba gehört der Frau«, erklärte Sakina, »die linke dem Mann. In einem Zelt ist es genauso.«
Ihr Lächeln verschwand. Sie seufzte tief und keuchend, wie Kranke manchmal seufzen.
»Die Erde ist kalt. Und wir haben zuwenig Decken.«
Nun kam auch Hannon, gefolgt von Elias, herein; beide hatten sich als erstes um die Mehara gekümmert. Wir setzten uns und Sakina schob mir ein altes Lederkissen unter die Schultern. Kurz darauf trug ein Junge mit scheu gesenktem Blick ein zerbeultes Kohlenbecken herein. Dazu kamen zwei kleine Blechkannen, ein Tablett mit frisch gespülten Gläsern und das übliche Kupferhämmerchen. Während Sakina die Zubereitung des Tees überwachte, traten einige schwarz und blau gekleidete Gestalten in die Seriba. Ich hörte den verhaltenen Klang ihrer Stimmen, das Schleifen der Sandalen, die ausgezogen wurden. Alle hatte sich umgezogen, zeigten sich in ihren besten Gewändern. Jeder Mann hatte seinen Schesch auf persönliche Art geschlungen, jede Frau trug etwas Schmuck, ihre Chomeissa zumeist, die letzte Kostbarkeit, die eine Targuia aus der Hand gibt; oder ein Armband aus schwarzem Horn, oder auch nur einige Ringe.
Ich war zutiefst erschüttert. Diese halbverhungerten Menschen wollten uns nicht in ihren Alltagslumpen gegenübertreten; es war eine Frage des Schamgefühls ihrem eigenen Elend gegenüber. Zorn und Spott gereichten ihnen zur Ehre, nicht jedoch Klagen und Nachlässigkeit. Einer nach dem anderen begrüßten mich die Gäste.
Es mußten irgendwelche Verwandten sein. Sie nannten ihre Namen, doch ich war müde und verwirrt und vergaß sie sofort. Eine Frau hatte einen kleinen Jungen, der schrecklich hustete. Der schwere Geruch von Talg, Holzkohle und ungewaschenen Gewändern machte die Luft stickig. Inzwischen mischte Sakina die Minze. Mir fiel auf, 319
daß ihre verbeulte Teedose fast leer war. Geschickt schlug sie den Zucker in kleine Stücke. Ich beobachtete die Leichtigkeit und Eleganz ihrer Bewegungen. Von Zeit zu Zeit warf sie mir ein Lächeln, einen freundschaftlichen, fast schalkhaften Blick zu. Nach einer Weile begann Hannon:
»Das Herz ist uns schwer. Hier haben wir Wasser, genug Holz und Gras für die Tiere, aber die Algerier kümmern sich nicht darum. Wir haben einen Monat Zeit, ein Regierungslager aufzusuchen. Sie wollen uns auf ein kleines Stück Land sperren und uns zwingen, dort zu bleiben. Unsere Kinder sollen in die Koranschule gehen, aber Allahs Wort gibt ihnen keine Gesundheit und hindert sie auch nicht, vor Hunger zu sterben. Wir sollen Steuern abgeben, Pacht für die Weiden zahlen, auf denen nichts wächst. Wir fragen jeden, der für Gerechtigkeit und Anstand eintritt, ob es recht ist, daß wir aus unserer Heimat vertrieben werden und zu Bettlern verkommen? Das Wasser schmeckt schlecht, unsere Kinder werden krank. Sogar das Vieh wird teilnahmslos
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