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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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und durstig, bis es schließlich stirbt. Dieses Tal ist kein guter Platz mehr. Aber wo finden wir einen besseren Ort? Unser Vieh muß frisches Gras fressen, damit Frauen und Kinder runde Wangen und einen warmen Körper bekommen. Doch nun wurden wir aufgefordert zu gehen. Wir müssen uns freiwillig auf den Weg machen.
    Sonst laden sie uns in Müllwagen und pferchen uns hinter Stacheldraht.«
    Im schwachen Licht des Kohlenbeckens sah ich, wie abgemagert und müde alle waren. Der kleine Junge hörte nicht auf zu husten; seine Nase lief, er rieb unaufhörlich seine entzündeten, verklebten Augen.
    Ich spürte ein Würgen in der Kehle. Das Los, das diese Menschen erwartete, war ein langsames Dahinsiechen, ein Absterben der Seele, ein Dasein ohne Zweck und Sinn. Ich verstand nicht alles, was Hannon sagte, aber immerhin das Wesentliche.
    »Als die schwarzen Soldaten unser Lager zerstörten, unsere Alten nackt auszogen und unsere Frauen entführten, dachte ich, wir kämpfen für dieselbe Sache und dasselbe Volk. Doch viele von uns dachten nur an die eigene Habsucht. Unsere Feinde sagten: ›Jeder Targui ist ein Plünderer!‹, und ich höre unsere Ahnen lachen. Aber ich weiß nicht, ob sie über uns oder über unsere Feinde lachen. Ich glaube, sie lachen über alle.«
    Die Vergangenheit ließ sich nicht abschütteln, die Emotionen waren da. Seit alters her unterwarfen sich die verschiedenen Stämme und 320
    Sippen nur den von ihnen selbst gewollten Gesetzen. Diese Erinnerungen waren nicht zerstört, aber für immer verändert und beschädigt. Den kontrollierenden Mechanismen und den Regeln eines modernen Staatsgebildes konnten sich die Tuareg kaum entziehen. Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Der Rauch aus dem Kohlenbecken reizte meine Kehle. Während Hannon sprach, schien es mir, als vergrößere sich sein Schatten im Widerschein der Glut. Das Spiel seiner überlangen Hände verlieh seinen Worten eine besondere Betonung. Ein Zauber ging von diesen Bewegungen aus. Er wirkte wie ein Märchenerzähler, der seine Zuhörer in seinen Bann zieht. Aber was er sagte, war bittere Wirklichkeit und Schmährede in einem.
    »Wir wollen freie Menschen sein. Ich verstehe nicht, warum sie uns das verbieten. Das ist nicht in Ordnung. Kleine Mäuse mit spitzen Zähnen kriechen unter die Sättel der Mehara und piepsen großartig:
    ›Wir laufen wie Rennkamele!‹«
    Alle lachten jetzt, stießen sich an, gaben zustimmende Grunzlaute von sich. Ich sah ein ironisches Funkeln in Elias’ Augen und fragte:
    »Wie meint er das?«
    »Er verachtet die seßhaften Oasenbewohner. Die meisten Tuareg verachten sie. Wir waren Imochar, die Freien, sie waren Bauern und Sklaven. Jahrhundertelang mochte das gelten. Die Natur gab uns eine kostbare Tauschware in die Hand: Salz, das in den Salinen von Amadror, Bilma und Taoudeni abgebaut wurde. Unsere Karawanen
    – die Azalais – brachten die Salzblöcke auf die Märkte von Agadez, Timbuktu und Gao. Dort tauschten wir dafür Weizen, Datteln, Stoffe und alle Dinge ein, die wir zum Leben brauchten. Hannon hat das noch gekannt.«
    Der alte Mann reckte beide Arme empor. Ich hörte seine Gelenke knacken.
    »Keine Zeit war wie diese Zeit! Aber jetzt bin ich nur noch ein halber Mensch und habe Rheuma.«
    Sakinas Zähne, weiß wie die einer Wölfin, blitzten im Halbschatten.
    »Na, Alter! Denkst du an deinen liebsten Zeitvertreib?«
    Plötzlich lachten alle. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte.
    Elias lachte auch. Zu mir sagte er:
    »Sakina weist auf die Rezzus hin, das Berauben von Karawanen.«
    Das war interessant. Ich blickte ihn neugierig an. Von Olivia hatte ich bereits einiges erfahren, aber nicht genug. Elias blinzelte mir amüsiert zu.
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    »Plündern mit der Waffe in der Hand war ein Vorrecht der Adligen.
    Wie die Herrscher der griechischen Königshäuser. Und die Raubritter in Europa. Wir hatten keine Turniere, dafür unternahmen wir Rezzus. Ein Rezzu hatte nichts mit Krieg zu tun. Sagen wir mal, es war Unterhaltung. Man griff den Nachbarstamm an, nahm ihm sein Vieh, seine Lebensmittel und Wertgegenstände weg. Worauf die Beraubten einen Gegen- Rezzu unternahmen, um ihr Gut zurückzuerobern und dazu noch das des Gegners zu erbeuten. Jeder war Schöpfer seines eigenen Glücks, das war eine Sache, die uns gefiel. Aber Tapferkeit verpflichtet. Daß strenge Regeln herrschten, war klar. Die Zelte der Frauen blieben unberührt, man durfte ihnen auch nicht den Schmuck wegnehmen, den sie am

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